Frühe Westturmanlagen in Salzburg
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FRÜHE WESTTURMANLAGEN IN SALZBURG
Wann und wo entsteht die erste Verbindung von Kirche und westlicher Turmanlage in Österreich? Wie im Kapitel über die Vorstufen der karolingischen Westanlage dargelegt wurde, ist die Existenz einer monumentalen Westanlage in vorkarolingischer Zeit auszuschließen. 1) Dies wird durch die archäologisch nachgewiesenen Bauten in Österreich bestätigt; sie waren turmlos, mit Ausnahme der St. Laurenz-Basilika in Enns-Lorch. Nach L. ECKHART (1981) 2) steht der heute im wesentlichen dem Spätmittelalter zuzuordnende Süd-West-Turm auf den Fundamenten eines spätromischen Wachturmes, der in die frühchristliche Basilika I (Mitte 5. Jhdt.) von Lauriacum einbezogen wurde. Dieser Turm kann daher nicht für die Entwicklung der Westturmanlage in Österreich von Bedeutung sein. Mit einer ersten Westturmanlage kann nach den bisherigen Erörterungen erst mit dem Übergang vom
8. zum 9. Jhdt. gerechnet werden: Aber auch hier beginnt die Entwicklung weit im Westen Deutschlands mit den komplexen Anlagen von Aachen, den Westwerken und den mittelrheinischen Oratoriumstürmen. Eine Übernahme von angelsächsischen Einzelwesttürmen im Zuge der Christianisierung Bayerns und damit Salzburgs ist aus zeitlichen Gründen auszuschließen, da diese Kirchentypen erst im 10. Jhdt., wohl unter kontinentalem Einfluß entstanden sind.
Als das dem Entstehungsgebiet der karolingischen Westanlage nächstliegende Territorium auf heute österreichischem Boden verbleibt als logisches und historisches Zentrum Salzburg,
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das antike Iuvavum, in welchem der Hl. Rupert der ältesten Quelle nach, der Notitia Arnonis (788/90), vom Bayernherzog Theodo das "oppidum simulque" und das "castrum superiorem" zum Geschenk erhielt. 3) Hier errichtete im oberen Kastrum der Hl. Rupert um 712/15 zu Ehren der Gottesmutter das Frauenkloster Nonnberg, welchem seine Nichte Erintrudis als erste Äbtissin vorstand. 4) Als Filiale entstand weiters die in der Notitia Arnonis und den Breves Notitiae (nach 798) genannte Maximilianszelle in Bischofshofen. 5) Eine dritte rupertinische Gründung, die des St. Peters-Klosters; wird eigenartigerweise in diesen Quellen nicht erwähnt, obwohl den beiden vorgenannten Filialen von St. Peter ein weiter Raum gewidmet wird. 6) Die Vita Hrodberti (770ff) nimmt zwar nicht direkt auf eine Neubegründung des Klosters Bezug, doch spricht die Quelle von der Erneuerung bestehen-der Baulichkeiten; die als Gründung einer Kirche zu Ehren der Apostelfürsten Petrus und Paulus interpretiert werden dürfen. Für die architektonische Gestalt hat die Existenz einer vorrupertinischen Mönchsgemeinschaft keinen Belang. Von Nonnberg wissen wir über die Gestalt der Gründungskirche nichts, sie wird erst mit dem Einzelwestturm und dem Nonnenchor ab dem 11. Jhdt. faßbar. 7) Auch die frühen Bauten von Bischofshofen sind wegen der nur im kleinsten Rahmen möglichen archäologischen Untersuchungen unbekannt. 8) In St. Peter vermeint ST. KARWIESE (1982 a) die rupertinische Kirche in einem nach H. SENNHAUSER (1983) wahrscheinlich spätantiken Grabbau entdeckt zu haben. 9) Die Diskussion zur Grabung KARWIESEs ist noch nicht abgeschlossen, doch
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kann mit Sicherheit aus archäologischer Sicht ein Westbau vor dem rekonstruierten Liuprambau (nach KARWIESE 2. H. 9. Jhdt.) ausgeschlossen werden. R. PÜHRINGER (1931) 10) legte diese Datierung bereits in einer ersten, bislang gültigen kunsthistorischen Analyse fest.
Eine weitere Mönchszelle wird in "Bisonzio", Zell a. See, in der Notitia Arnonis erwähnt. 11) Sie wird anstelle der 1963 abgetragenen und leider bodenkundlich nicht untersuchten Kapelle Maria im Wald vermutet. Untersuchungen in der Hippolyth-Kirche bestätigen dies, da hier erst Mitte d.
10. Jhdts. eine einschiffige Saalkirche ohne Turm errichtet wurde. 12) Taf.43/3
Wie zu erwarten, zeigen die frühen Kirchen in rupertinischer Zeit keinerlei Ansatz zur Ausbildung eines betonten Westteils. Auch aus historischen Gründen war dies naheliegend, da ja die ersten Westanlagen ihre Begründung und ihren Zweck in der Repräsentation der Karolinger hatten. Rupert aber erhielt seine Protektion gerade durch die antikarolingische Adelsopposition. 13)
Mit der Person des Iren Virgil (755 Bischofsweihe, gest. 784), den Pippin 745 zu Herzog Odilo nach Bayern schickte und der nach Bischof Johannes die Abtwürde von St. Peter bekleidete, tritt die architektonische Entwicklung in Salzburg in eine entscheidende neue Phase. 774 wird durch Virgil der Dom dem Hl. Rupert geweiht; Virgil stand dem Dom durch 12 Jahre hin-durch als "fabricator" vor. 14) Nach F. PAGITZ (1974) 15) lag das Konzept dieser "ecclesia mirae magnitudinis" bereits
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760 fest. Die Fundamente der Dome von Salzburg konnten durch H. VETTERS bis 1967 ergraben werden, jedoch sind noch zahlreiche Fragen der Grundrißdispositionen umstritten. 16)
Hatte bereits der Virgil-Dom, diese erste Großkirche Salzburgs, von der F. PAGITZ (1974) meint, daß sie von lombardischen Bauleuten errichtet worden und als Krönungskirche für den Agilolfingerherzog Tassilo III. ausersehen war, eine monumentale Westanlage? H. VETTERS (1974) 17) hat den Virgilbau in einer letzten Rekonstruktion als dreischiffige Basilika mit einer im Dreipaß geschlossenen Krypta festgelegt. Im Westen befand sich ein Atrium und Taf. 25 daran anschließend ein Baptisterium. H. SEDLMAYR (1968) 18) sieht das Vorbild für die Grundrißform in einem "lombardischen Bau von der Art der Basilika in Nola-Cimitile", insbesondere den östlichen Dreipaß-Abschluß. H. VETTERS (1971) 19) vergleicht die Anlage mit dem Dom von S. Salvatore in Brescia und mit S. Ambrogio in Mailand , also ebenfalls mit Bauten, die nichts mit den unmittelbar zeitgenössischen fränkischen Kirchen in Lorsch, Köln und Fulda zu tun haben, sondern mit Oberitalien und letztlich mit der Tradition spätantiker Basiliken ohne Querschiff. 19a.)
Davon abhängig scheint es zunächst einleuchtend, daß der Virgilbau keinen monumental gestalteten Westteil im Sinne einer Turmanlage besaß. Nicht unwesentlich dürfte in diesem Zusammenhang die historisch-personale Situation sein, standen doch Tassilo III. bzw. die Agilolfinger in enger Beziehung zum langobardischen Herrscherhaus. Die "mira magnitudo" des Virgil-Domes läßt sich einerseits gut mit den Großkirchen in Rom, Mailand und Bescia vergleichen, andererseits ist
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dieser Bau in seinem monumentalen Anspruch St. Denis, Fulda und Lorsch, also den Großprojekten karolingisch-fränkischer Prägung gegenüberzustellen.
In dieser ersten neu gebauten Basilika im Raume der bayerischen Bistümer liegt nach H. SEDLMAYR (1968) etwas Unerhörtes, das als eine Herausforderung Tassilos an den fränkischen Hof gesehen werden kann, was sich vielleicht auch aus der Vermutung erklären läßt, daß Tassilo hier die Metropolitankirche einer zu gründenden bayerischen Kirchenprovinz plante. 20) Faßt man die Architektur als Symbol und Bedeutungsträger eines entstehenden Großreiches auf, so dürfte der Gedanke an ein bayerisches St. Denis, wie SEDLMAYR meint, nicht abwegig sein. Im Gegensatz zu Salzburg wird eine erste Vorstufe zur karolingischen Westanlage in St. Denis vermutet, deren genaue Form jedoch umstritten ist. 21) Eine mögliche Erklärung für die Wahl der beiden unterschiedlichen architektonischen Orientierungen könnten die politischen Bestrebungen zwischen den Agilolfingern und den aufstreben-den Karolingern sein.
Unter Karl d. Gr. ändert sich die architektonische Form und die Westbetonung im Kirchenbau in entscheidendem Maße. 21a) Im Oktober 803 fand im Dom (monasterium) in Salzburg eine Provinzialsynode unter dem Vorsitz Karls d. Gr. statt. F. PAGITZ (1969, 1974) weist aufgrund einer Grabinschrift der Carmina Salisburgensia nach, daß eine Krypta durch Erzbischof Arno (785 - 821) errichtet wurde. Nach spät-mittelalterlichen Berichten befand sich diese "in fine monasterii" 22) nach F. PAGITZ (1974) im Westen des Domes.
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Bodenkundlich konnte die Krypta nicht erfaßt werden, ihre Existenz wäre nach H. VETTERS (1971) 23) nicht auszuschließen. Form und Lage dieses Westteils bleiben bis auf weiteres ungewiß. F. PAGITZ (1974) schließt auf einen Umbau des Atriums, vor allem aber auf die Errichtung eines "opus occidentale", in dessen Nähe die Krypta zu lokalisieren wäre. 24) Als mögliche Form denkt PAGITZ an ein freistehendes Westwerk oder an einen Bau in Art der Corveyer Anlage mit Eingangs-halle, Seitentürmen, Quadrum und Narthex. Dazu ist zu bemerken, daß beide Rekonstruktionen unter dem Einfluß jenes Aufsatzes über die Entwicklung vom Tribunal zum Westwerk stehen, in welchem H. VETTERS (1970) 25) teilweise formal überholte Westwerks-Rekonstruktionen übernimmt. Der wesentliche Punkt in bezug auf Salzburg ist, daß VETTERS das Tribunal oder Konsistorium im Anschluß an das Langhaus des Domes im Atrium annimmt- Damit wären die Voraussetzungen für eine monumentale Westanlage am Salzbuger Dom bereits unter Arno gegeben, jedoch bleibt bis auf die literarische Erwähnung baulicher Veränderungen unter Arno alles Hypothese ohne konkrete Anhaltspunkte. Der Schluß auf einen Umbau unter dem Nachfolger Virgils im Sinne der karolingischen Renaissance, wie PAGITZ es ausdrückt, liegt im Bereich des Möglichen, insbesondere deshalb, weil sich unter Bischof Arno die politische Situation ändert: 788 wird Tassilo III: vom Frankenkönig gestürzt, 798 erhebt Papst Leo III. den Bischofssitz zur Metropolitankirche und König Karl setzt sich für die Erhebung Salzburgs zum Erzbistum ein.
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845 brennt der Dom ab, der unter Erzbischof Liupram (836 - 859) erneuert und um eine Kapelle mit dem Grab Virgils an der Südseite erweitert wird. 847 bricht ein weiterer Brand aus, der diesmal zum Anlaß für einen Neubau von. St. Peter genommen wird. H. VETTERS (1971) 26) ist aufgrund seiner Befunde der Ansicht, daß der Dom im Grundprinzip bis in Staufische Zeit unverändert blieb und nur durch den Kapellenanbau Arnos betroffen wird. ST. KARWIESE (1982 a) 27) rekonstruiert den ersten karolingischen Großbau von St. Peter als eine dreischiffige Basilika Taf.31/3 mit gestaffeltem Dreiapsidenschluß unter Einbeziehung einer älteren Krypta, sowie mit einem achsialen Westturm, der vielleicht mit seitlichen Annexen als westwerkartiger Bau ausgebildet wurde. Folgt man nur den Befunden der beiden Ausgräber, so käme St. Peter in bezug auf die Westturmfrage die Priorität zu. Dies bedeutet, daß die Mönchskirche gegenüber der Metropolitankirche eine Aufwertung durch den Westbau erhalten hätte, der in seinem Symbolgehalt über jener Kirche stand, die von Karl d. Gr. gefördert und zum Sitz einer Synode gemacht wurde. Zieht man die Hypothese von PAGITZ hinzu, so würde dem Dom die Priorität zukommen und St. Peter wäre in künstlerischer Abhängigkeit davon. Letzteres scheint glaubhafter, denn welchen Zweck und welche Bedeutung sollte nach den vorangegangenen Erörterungen ein Westwerk an St. Peter haben? Aber es gibt gewichtigere Gründe, die einen Westbau an St. Peter zu dieser Zeit unwahrscheinlich machen.
Für den Schluß auf ein "Westwerk" im Sinne KARWIESEs fehlen alle baulichen Ansatzpunkte, denn die beiden erst im
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13. Jhdt. errichteten Flankenbauten am Turm von St. Peter reichen für einen Rückschluß auf karolingische Vorgängerbauten nicht aus. 28) Karolingische Einzelwesttürme vom Taf.31/4 Typus des vorgestellten achsialen Baukörpers in Mittelschiffbreite sind in den Entstehungsgebieten frühestens erst ab der Wende vom 9. zum 10. Jhdt. nachweisbar. 29) Schließlich hat H. SENNHAUSER (1983) 30) glaubhaft gemacht, daß der Liuprambau von St. Peter in der von KARWIESE rekonstruierten Form in nachkarolingischer Zeit und mit einiger Sicherheit erst im 11. Jhdt. entstanden war. In diesem Punkt fehlt es noch an konkreten Anhaltspunkten, da die archäologischen Befunde bezüglich der Westanlage für eine gesicherte Rekonstruktion nicht ausreichen, wie ST. KARWIESE (1982 a) selbst meint. 31) R. PUHRINGER (1931), der die Diskussion um einen karolingischen Westturm an St. Peter einleitete, konnte noch nicht auf den Forschungsstand ergrabener Grundrisse seit 1945 zurückgreifen, woraus sich seine Frühdatierung er-gibt. 32) Die Hypothese vom frühesten erhaltenen Einzelwestturm aus k a r o l i n g i s c h e r Zeit in Österreich ist aus dieser Sicht nicht haltbar.
Der erste konkret nachweisbare Westbau in Salzburg entsteht in ottonischer Zeit unter Erzbischof Hartwik (991 - 1023), der, einem Kalendarium des 13. Jhdts. nach, den Dom (post ruinam) erneuerte (renovatum). 33) Taf. 25 Als kirchenhistorische Ereignisse waren die örtliche und besitzmäßige Trennung von St. Peter und St. Ruprecht vorangegangen, ebenso die Gründung des Domkapitels. Ursache für diese Veränderungen war u. a. die Reform von Gorze-Trier-Regensburg.
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Als Förderer des Neubaus tritt nun Kaiser Heinrich II. in Erscheinung, welcher auch umfangreiche Güterschenkungen dem Stift Nonnberg zukommen läßt. Nach H. VETTERS (1971) 34) war der Hartwik-Dom wieder eine dreischiffige Basilika, die teilweise die Fundamente des Virgilbaus mitbenützte. Sie war um einen längeren Chor erweitert und bis in den Bereich des Atriums ausgedehnt. Hier konnte VETTERS als Westabschluß das sog. "Kernmauerwerk" ergraben, zwei quadratische Fundamente zu seiten der achsialen Eingangshalle, die VETTERS "stark an die bei Kaiserdomen üblichen Westwerke" erinnern. 35) Taf 25 Die Ostchorlösung des Mainzer Domes ist seiner Ansicht nach "fast identisch mit dem Kernmauerwerk". Der Vergleich der Salzburger Westanlage mit der Mainzer Ostanlage bietet jedoch wegen des unterschiedlichen Typus und der Lage am Kirchenbau kaum brauchbare Anhaltspunkte für eine Ableitung. Für die Aufrißlösung meint H. VETTERS (1971) 36) einschränkend: "So massiv auch die beiden fast quadratischen Seitenräume gebaut sind, ist doch nicht an-zunehmen, daß sie als Türme ausgebildet waren, vor allem deswegen, weil die Errichtung von Türmen in der Überlieferung genannt worden wäre." F. PAGITZ (1974) 37) rekonstruiert den Aufriß als mehrgeschossigen Mittelturm, der von zwei Treppentürmen flankiert wird. Als Vorgänger dieses "Westwerks" bezeichnet er den Dom zu Freising und den Dom St. Peter in Regensburg.
S. BENKER (1967) 38) untersuchte den Freisinger Dom, wo-bei er die unter Bischof Abraham (957 - 993) genannte "turris" als Westwerk deutet. Während die ältere Literatur
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im Nordturm den Überrest dieser 1159 nach einem Brand zerstörten Anlage vermutete, ergaben Baukernuntersuchungen, daß die Domtürme im Winkel zwischen dem in der 2. H. d. 13. Jhdts. errichteten Langhaus zwar älter sind, aber nicht auf ottonische Zeit zurückgehen. Die Vorhalle verdrängte 1314 die letzte Reste des ottonischen Westbaus. Aus diesen Baukernanalysen kann man lediglich schließen, daß in Freising wahrscheinlich ein schmaler ottonischer Westbau bestand, der für einen konkreten Vergleich mit Salzburg wenig bringt. Die Westanlage des Regensburger Domes (nach 1002) zeigt ein Charakteristikum, welches auch für den Hartwik-Dom von Bedeutung ist: Die beiden quadratischen Flankentürme Taf. 35/2 sind schmäler als die dahinterliegende Kirchenfront. 39) In Regensburg befindet sich jedoch zwischen den Türmen eine Westchoranlage mit Krypta, die durch ein nicht vor-springendes Querhaus von der Basilika getrennt wird. F. PAGITZ (1974) 40) macht neben den architektonischen Ähnlichkeiten politisch-genealogische Bezüge geltend, wonach der Vater Hartwiks Pfalzgraf in Bayern war und seine Mutter aus dem Geschlecht der Liutpoldinger stammte. Außerdem stand die Hartwik-Sippe in der besonderen Gunst der ottonischen Herrscher.
A. FINGERNAGEL (1981) 41) untersucht die Möglichkeit, die Hartwik-Anlage doppeltürmig zu rekonstruieren und zieht zum Vergleich das Baseler Münster (1019 gew.) heran, für welches Heinrich II. als Begründer und Erbauer gilt.
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Aufgrund der Baureste in der Westfront des 13. Jhdts. kann auf eine frühe Doppelturmanlage mit Atrium des 11. Jdhts. geschlossen werden, die mit der Doppelturmfassade von Cluny II in Verbindung steht. Die weitere Entwicklungslinie Straßburg (1015) - Limburg a. d. Haardt (1025 - 1040) und die Rekonstruktion des Hartwik-Domes sprechen eher gegen eine so frühe Doppelturmanlage in Salzburg. Die früheste,konkret erfaßbare Westanlage in Salzburg darf daher als eine Dreiturmanlage mit hohem Mittelturm und niedrigen seitl. Treppentürmen im Sinne F. PAGITZ gedeutet werden. Die Interpretation dieser Anlage als "Westwerk" verbietet jedoch der zeitliche Ansatz, der durch einen Münzfund gesichert wird. Ästhetisch dominiert beim Hartwik-Westbau das vertikale Moment des Mittelturmes, d. h. letztlich der auf die Kirchenachse bezogene Einzelturm. Die Wahl der ersten Westanlage von Salzburg dürfte aus dem Repräsentationsbedürfnis des Förderers, Kaiser Heinrich II., und aus der kirchenpolitischen Stellung des Erzbistums erklärbar sein, welche die Anwendung des Hoheitsmotives Turm rechtfertigen. Die e r s t e Kirche des Erzbistums stellt somit den Typus einer Westanlage innerhalb des bisher turmlosen Kirchenbaus Salzburgs dar, der mit seinem starken Mittelakzent Vorbild für die Entstehung der beiden frühen Einzelwesttürme von St. Peter und Nonnberg ist. Die Doppelturmanlage Erzbischofs Konrad I. (1106 - 1147)
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scheidet aus zeitlichen Gründen als Vorbild für die beiden letztgenannten Kirchen aus.
Der zeitl. Abfolge und Rekonstruktion von Hartwik-Anlage und Konrad-Bau von VETTERS wurde durch F. MOOSLEITNER (1981) 42) widersprochen. Nach VETTERS baute Erzbischof Konrad I. nach einem Brand von 1127 seitlich der ottonischen Westanlage zwei Türme an, deren U-förmige Fundamente archäologisch nachgewiesen werden konnten. Diese Doppelturmanlage hatte die Breite des Langhauses, ihr Aufriß wird in Stadtansichten des
17. Jhdts. überliefert. 43) Diese Westanlage war für Taf. 35/1 Salzburg neu, wie aus der Bezeichnung "turres altissimae, quae antea non fuerant" zu schließen ist. F. MOOSLEITNER (1981) kommt aufgrund neuerer Untersuchungen zu einer völlig anderen Abfolge der Westbauten. Unter Arno oder Hartwik hätte nur der sog. Virgil-Bau bestanden. Die enge Turmstellung wäre nicht die Hartwik-Westanlage, sondern die Konrads I. mit den turres altissimae. Die U-förmigen Fundamente des breiten Konrad-Baus sollen gotische Anbauten sein. MOOSLEITNER führt als Argumente gegen die bisherige Bauabfolge statische Gründe und eine Baufuge zwischen den U-förmigen Fundamenten und dem "Kernmauerwerk" an. Die statischen Uberlegungen überzeugen nicht, die "Baufuge" ist als Setzungsfuge anzusehen. Außerdem berücksichtigt die Untersuchung MOOSLEITNERs nur den Westteil, ohne die Zusammenhänge mit dem Gesamtgrundriß zu beachten. Die Bauabfolge nach VETTERS und PAGITZ kann dadurch nicht widerlegt werden. Die Westanlage Hartwiks bleibt als Vorbild für St. Peter und Nonnberg während des gesamten 11. Jhdts. bestehen.
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Daß für die Westanlage der beiden Klosterkirchen die ein- fachere Form des Einzelwestturmes gewählt wurde, dürfte Taf.30,32,33 mit den andersartigen Aufgaben erklärbar sein. Die historische Parallele zwischen dem Dom und Nonnberg ist durch die Güterstiftungen und die traditionell überlieferte Anwesenheit Heinrichs II. bei der Weihe von 1009 naheliegend. Für St. Peter hat ST. KARWTESE (1982 a) eine größere Bautätigkeit zwischen 987, dem Zeitpunkt der Gütertrennung zwischen Domstift und St. Peter, und 1110, dem Zeitpunkt der Grundschenkung für das Kloster durch Erzbischof Konrad I., ausgeschlossen. 44) Andererseits verweist F. PAGITZ (1974) auf die Übergabe mehrerer Besitzungen im Jahre 987 an St. Peter, darunter die "Porta" mit der Kaufmannssiedlung und die Michaelskirche, die spätere Pfarrkirche von Salzburg. 45) Erst 1025/30 kommt es zum Niedergang des Stiftes St. Peter. Die allgemeine rege Bautätigkeit am Dom und in Nonnberg unter Erzbischof Hartwik bzw. Kaiser Heinrich II. könnte auf St. Peter mit seinem seit 987 selbständigen Aufgabenbereich eingewirkt haben. Innerhalb dieses Zeitraums wäre der von H. SENNHAUSER (1983) datierte ergrabene Grundriß der ersten Großkirche von St. Peter mit dem Einzelwestturm anzusetzen. 46)
Im frühen 11. Jhdt. entstehen somit in Salzburg drei Westanlagen an Kirchenneubauten, für die in zwei Fällen, dem Dom und Nonnberg, die Beteiligung Kaiser Heinrichs II. und des ihm nahestehenden Erzbischof Hartwik nachgewiesen werden kann. Auch in St. Peter ist eine direkte Einflußnahme nicht auszuschließen. Während der Dom, die früheste
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Anlage, um 1000 als Dreiturmanlage errichtet wird, baut man an St. Peter den achsialen Einzelwestturm mit Vorhalle. Nonnberg, ebenfalls mit Einzelwestturm, nimmt noch in der 1. H. d. 11. Jhdts. das Motiv auf, allerdings in einer Sonderform. Diese ist durch die Lage des Nonnenchors und des Kreuzganges bestimmt. Der Westturm wird quasi als an-gebauter Chorturm vor den Nonnenchor gestellt. Sowohl in St. Peter als auch in Nonnberg lassen Spuren im ersten Turmgeschoß auf einen kapellenartigen Raum schließen. Der Aufriß dieser beiden Turmlösungen wird lediglich in seiner spätromanischen Phase auf Stadtansichten des 17. Jhdts. faßbar. Taf . 32 Vermauerte Fensterreste im Turm von St. Peter, der unter Abt Balderich (1125 - 1147) verändert wurde, und im Nonnberg-Turm, welcher unter Äbtissin Daria (1484 - 1505) umgebaut wurde, lassen erkennen, daß das ursprüngliche Konzept eine geschoßweise gegliederte Turmlösung mit gekuppelten Fenstern beinhaltete. Mit diesen drei frühen Westanlagen wird Salzburg zum Ausgangspunkt für die Entwicklung einer ersten Westturmlandschaft in Österreich.
FRÜHE WESTTURMANLAGEN IN SALZBURG
1) Vgl. Text S. 26
2) L. ECKHART (1981): Die Stadtpfarrkirche und Friedhofskirche St. Laurentius von Enns-Lorch-Lauriacum in Oberösterreich, Teil I, in: Forschungen in Lauriacum 11, 1 - 3, 1981
3) F. PRINZ (1982): Vorbenediktinisches Mönchtum, irofränkische Mission und die Regula s. Benedicti im Salzburger Land, in: Festschr. St. Peter, Salzburg 1982, S. 14
4) G. HEIDER (1857): Mittelalterliche Kunstdenkmale in Salzburg, in: Jb. d. k. k. Centralcommission, Jg. 1857, S. 8ff
5) H. DOPSCH (1984): Bischofshofen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Festschr. Bischofshofen, Bischofshofen 1984, S. 57ff und S. 61; J. APFELTHALER (1984): Zur Baugeschichte der Kirchen von Bischofshofen, in: Festschr.Bischofshofen, Bischofshofen 1984, S.153
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