Justierlöcher an ägyptischen Großbildwerken
Justierlöcher ("Stemmlöcher") an ägyptischen Großbildwerken
P1262472.JPG Im ersten Hof des Tempels von Karnak erhebt sich die imposante Monumentalfigur Ramses' II., die Pinudjem ursupierte. Sie wurde erst in den 50er-Jahren des 20. Jhs. in Teilen gefunden und neu errichtet. Die monolithe Statue steht auf einem niedrigen Sockel und wird meist von Touristen umstellt, die sich hier im wahrsten Sinne des Wortes "am Fuße des Pharaos" fotographieren lassen. Möglich, daß sich einige davon sogar die Frage stellen, wie diese Großplastik hierher transportiert und aufgerichtet wurde. Diese Frage könnte man sich natürlich generell bei allen monolithen Pfeilern und pfeilerähnlichen Architekturteilen stellen. Man denke hier nur an die Obelisken, von denen in Karnak und dem benachbarten Luxor-Tempel monumentalste Exemplare in den Himmel ragen. Wie diese länglichen Teile vor Ort gebracht wurden, wurde schon oft - teilweise kontroversiell - diskutiert, ebenso wie man sich das Kippen in die Senkrechte vorstellen könnte. Daß das alles ein großes technisches Problem darstellte, kann man erst ermessen, wenn man an die Geschichten um die Wieder-Errichtung der Obelisken etwa in Rom am Petersplatz oder in Paris auf der Place de la Concorde denkt. Nur diese Leute kannten bereits Flaschenzüge und andere Hebezeuge, während die alten Ägypter wahrscheinlich mit Rampen und der Gewichtsverlagerung arbeiten mußten.
P1262473.JPGDas Problem der Aufrichtung tonnenschwerer Steingebilde ohne Flaschenzüge hatten - nebenbei bemerkt - auch andere Kulturen. Hier sind zweifellos die Orthostaten und Menhire, die Trilithen und Dolmen der Megalitharchitektur zu nennen. Gleiches kann für die heute ebenfalls immer mehr mystifizierten Götterstatuen (Ahus) der Osterinseln zu nennen, die auf ihren Köpfen separat hinaufgehievte rote Hüte (Pukao) aus Lavagestein trugen. Die zunächst unvorstellbare Lösung besteht ebenfalls in der Anwendung einfacher Hebelgesetze, dem Prinzip der Schiefen Ebene und der geschickten Ausnützung der Schwerkraft. Über allem aber steht ein einender organisatorischer Wille und offensichtlich eine große Menge an Selbstvertrauen.
Zur Aufstellungsgeschichte der Figur Ramses II. / Pinudjem siehe die Abbildungen unter:
Nachtrag zur Statue Ramses' II. vor dem 2. Pylon in Karnak
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Karnak, Sphingenallee mit Justierlöchern an der Basis und zahlreichen späteren
Schabemarken und "Näpfchen" am Körper
Das "Ding an sich irgendwie hinzukriegen" ist also möglich, wie steht es aber um das "Finish", die genaue Positionierung auf dem Sockel oder der Standfläche? Zumindest bei einigen Statuen und schweren Kunstwerken der ägyptischen Kunst gibt es dazu Hinweise: Es handelt sich dabei um charakteristische keilförmige Ausnehmungen an der Unterkante der Statuen, die sich symmetrisch an den Achsen der Skulpturen orientieren. Das gilt sowohl für stark höhenbetonte Statuen, also für Standbilder im ursprünglichen Sinne, wie für besonders schwere Liegefiguren, welche etwa die zahllosen Löwen- und Widderdarstellungen der Sphingenalleen repräsentieren. Man hat sich den Versetzungsvorgang etwa so vorzustellen, daß die Statue zunächst grob positioniert wurde und dann - unter geschicktem Einsatz von Hebeln, die in die keilförmigen Positionierungslöcher eingesetzt wurden - in die Endposition "gestemmt" wurden.
P2203411.JPGDie Technik ist im Grunde genommen wesentlich älter als die Beispiele aus Karnak. Schon die Erbauer der Megalithtempel aus der Stein-Kupfer-Zeit auf Malta bedienten sich solcher "Stemmlöcher", um ihre mehrere Meter hohen Monolithe ringförmig so zu justieren, daß sie sich - oft mit leichter Neigung zum Zentrum - nicht unähnlich einem Gewölbe gegeneinander abstützten. Sinngemäß befinden sich daher diese "Stemmlöcher" stets auf der Außenseite der Steinmonolithe. Sie dienten also nicht dem Transport, sondern der Justierung. Die Justierlöcher wurden nach diesem Vorgang mit kugelförmigen Steinen verdeckt.
Malta, Hagar Qim, Orthostaten mit Stemmlöchern
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Rekonstruktion des Steintransports mit Steinkugeln und justieren mit Stemmlöchern bei maltesischen Megalithbauten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß man auf Malta mit einigen Schautafeln (zB im National Museum von Valletta oder in der Ausgrabungsstätte von Tarxien) zwar den Transport mit Steinkugeln (also quasi eine Art "Kugellager") und den Justiervorgang erklärt, die Frage aber, wie die Monolithe aufgerichtet wurden, unbeantwortet läßt. Der Transport, der sich ja wesentlich vom ägyptischen Transport mit Schlitten unterscheidet, kann hier deshalb mit Steinkugeln erfolgen, weil die Bodenverhältnisse auf Malta (anstehender Kalksteinfels) anders sind.
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Links: Rekonstruktionsvorschlag in Hagar Qim. Hier wird irrtümlich angenommen, daß die Stemmlöcher auch zur
Aufrichtung der tonnenschweren Monolithe dienten. Das ist zweifellos so nicht möglich. Rechts: Transportkugeln
aus der Tempelanlage von Tarxien
Man wird für die Aufrichtung wohl - wie in Ägypten - Rampen verwendet haben, oder durch minimales Anheben der Steine und unterkeilen von kleinen Steinen die Monolithen in die senkrechte Lage gehievt haben. Letzeres Verfahren hat m. W. Thor Heyerdahl experimentell für die Ahu der Osterinseln, die um 1000 n. Chr. von den Polynesiern errichtet wurden, nachgewiesen. Eine Beziehung zwischen diesen weit entfernten Kulturkreisen ist jedoch nicht nachweisbar; es handelt sich also um eine "archetypische Technik".
(Stand 29. 3. 2006)
P1262533.JPGWeitere Befunde zur Keilspalttechnik in Karnak und Luxor
Die sogenannte Keilspaltung bei Hartgesteinen ist in der ägyptischen Steinmetz- und Steinbruchtechnik weit verbreitet. Zahlreiche Spuren finden sich etwa in den Granitsteinbrüchen von Assuan. Diese Abbaumethode fand bis zur Einführung moderner maschineller Abbaumethoden bis in jüngste Vergangenheit auch in Europa weite Verbreitung und wird vereinzelt für Sonderaufgaben noch heute benützt. Der Keilspalttechnik bediente man sich weiters überall dort, wo man Spolien aus Hartgestein für die Wiederverwendung aufbereitete. Zahlreiche Beispiele dieses historischen Recycling-Verfahrens können in Karnak nachgewiesen werden. In einigen Fällen wurde diese doch bis zu einem gewissen Grade aufwändige "Zerstückelungstechnik" aus unbekannten Gründen aufgegeben. Andere Fälle zeigen eine merkwürdig unlogische Anordnung der Keiltaschen, die zwar sehr sorgfältig und steinmetzmäßig ausgearbeitet sind, letztlich jedoch keine technisch sinnvolle Spaltungsabsicht erkennen lassen.
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Karnak, mehrfacher Versuch einer Keilspaltung an einem Granitblock in der Nähe des Hatschepsut bzw. Thutmosis-Obelisken. Nur beim darüberliegenden Block wurde die Spaltung auch durchgeführt.
Ein interessantes Beispiel dafür ist ein fragmentierter Block aus Rosengranit mit Kartuschenfries. Die rechteckigen Keilbuchsen zeigen eine typische Proportion von ca. 1 zu 3 bis 4, wobei der Abstand zwischen den Keiltaschen ein bis zwei Mal die Länge einer Keilbuchse beträgt. Es sind relativ kleine Taschen wie sie in Karnak öfters vertreten sind. Andere Vertreter dieses Typs sind etwa im ersten, von Ramses II. erbauten Hof von Luxor zu sehen (senkrechte Spaltung eines Altarblocks). Dadurch unterscheiden sie sich ganz wesentlich von den sehr breiten Keiltaschen wie sie für die Abtrennung eines der beiden jüngeren Hatschepsut-Obelisken zur Anwendung gelangten.
Serien von Keilbuchsen sollten möglichst entlang einer Linie verlaufen, an der dann durch den Flankendruck der Keile (nicht durch die Trennwirkung der Schneide!) der Block gespalten wird. Besonders exakte Spaltflächen entstehen dann, wenn die Keile einer in der Struktur des Steines bereits natürlich vorgegebenen Grenzfläche verläuft.
Link: vgl. Keilspuren am Obelisken der Hatschepsut in Karnak
Bei dem obigen Block wurden ergeben sich gleich drei, nicht zusammengehörige Spaltrichtungen. Die "verständlichste" ist die unterste, welche einen prismatischen Block ergeben hätte. Wieso die wahrscheinlich spätere schräg angelegt wurde, bleibt unklar. Die beiden schräg in Gegenrichtung verlaufenden Keiltaschen dürfte der letzte Versuch sein, eine "passende" Spaltrichtung zu finden.
Karnak, Statue Ramses' II. rechts vor dem 2. Pylon:
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Nicht minder kurios - zumindest aus handwerklicher "Absicht" - mutet der offensichtliche Versuch an, eine Statue Ramses' II. durch Keilspaltung "zu zerlegen" oder "zu Fall zu bringen". Die Dimensionierung der Keilbuchsen entspricht jener im vorigen Beispiel. Sie sind jedoch wenig wirkungsvoll unter dem linken Fuß der Kolossalstatue, am Sockel und auf der untersten Standplatte angebracht. Die Lochserien sind viel zu kurz und eher sporadisch verteilt. Die untersten Keilbuchsen sind außerdem wenig exakt ausgerichtet und werden von einer etwas breiter dimensionierten senkrecht durchkreuzt. Man gewinnt den Eindruck, hier wären relativ ungelernte Kräfte am Werk gewesen, die an verschieden Stellen unsystematisch versucht hätten, einzelne Stücke aus der Figur herauszusprengen. Ein Zusammenhang mit einer gezielten Verwertung des Materials im Sinne eines Baustoff-Recyclings scheint jedenfalls nicht ablesbar zu sein.
s. auch: Nachtrag zur Lage der Figur Ramses' II.
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Am Westufer des Heiligen Sees unweit des "Broken Obelisk" der Hatschepsut steht ein mit einem Skarabäus bekrönte Säulenstumpf. Der heute wieder zusammengestellte Schaft wurde durch Keilspaltung in mehrere Stücke zerteilt. Insbesondere an der oberen Keilbuchsenserie kann man gut studieren, wie durch eine einseitig angebrachte Keiltaschengruppe eine exakte und gerade Bruchfläche erzeugt werden kann.
Link: vgl.auch den älteren Jänner-Beitrag: "Keilbuchsen, Keiltaschen, Keillöcher an ägyptischen Bauten und in Steinbrüchen - eine Auswahl"
Befunde zur Keilspalttechnik in Luxor
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Mit der Keilspalttechnik wurde auch in anderen Tempelanlagen Baustoff-Recycling betrieben, so etwa bei Längsspaltungen von Säulenschäften (Bild oben).
Einen Grenzfall zeigt der links abgebildete Quader mit griechischer Inschrift an der Außenseite des sog. Barkenschreins der Hatschepsut. (SO-Ecke zum Hof Ramses II.). Die drei Löcher weisen alle die üblichen Merkmale von Keilbuchsen auf (Form, Proportion und keilförmige Eintiefung; das linke Loch ist restauriert), sind aber eher unsystematisch in einem Kalksteinblock (?) eingearbeitet. Normalerweise werden Kalksteine bzw. Weichgesteine nicht mit Keilbuchsen, sondern mit einer Keilspuren (eine durchgehende Keilnut - keine Keiltaschen) gespalten. Möglicherweise hatten diese "Keilbuchsen" eine andere Funktion.
Abschließend sei noch auf ein besonders "übles" Beispiel einer Keilspaltung hingewiesen. Die sogenannte "Restaurations-Stele des Tutanchamun" im Ägyptischen Museum von Kairo weist der Länge nach Keiltaschen auf. Bei näherer Betrachtung der Keilbuchsen kann man feststellen, daß diese jeweils in der Mitte der Längsseiten kreisförmige Ausbrüche aufweisen - gleichsam so, als ob jemand versucht hätte, nicht mit Keilen, sondern durch zusätzliches "herumwerkeln" mit einer Stange die Steinplatte auseinander zu treiben. Charakteristisch sind dafür die kreissegmentförmigen Splitterbrüche an der jeweils linken Seite der Keiltaschen. Vergleichbare Werkzeugspuren sind mir bisher nicht bekannt. Auch bei der Restaurations-Stele des Tutanchamun wurde die Keilspaltung letztlich nicht durchgeführt bzw. mißlang. Die Bruchstellen der Platte stehen in keinem Zusammenhang mit der Keilbuchsenserie, man hat eher den Eindruck, daß die Platte nur durch die 5. Keilbuchse von oben irregulär zersprang und damit für den ursprünglichen Recyclingzweck (zwei balkenförmige Stücke?) wertlos wurde.
Mein besonderer Dank für wichtige Informationen zur "Restaurations-Stele" gilt den Mitgliedern des Ägyptologie- Forums. Siehe den dortigen Thread.
Differentialdiagnose in Luxor: kein Befund zur Keilspalttechnik
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P1262608.JPGNicht jede regelmäßige Abfolge von Keillöchern hat ihre Ursache in der Keilspalttechnik, wie obiges Beispiel (*) am ehemaligen Durchgang zum Barkenschrein Amenhoteps' III. zeigt. Hier wurde der Eingang unter Kaiser Diocletian zu einer Apsis abgemauert und mit zwei Säulen flankiert. Der Befund an der Basis der beiden Säulen verleitet dazu, zunächst an Löcher für eine Serie von Keiltaschen zu denken - sogar mit den noch darin erhalten gebliebenen Holzkeilen (!) für die Steinspaltung. Eine genauere Autopsie läßt jedoch erkennen, daß es sich um Distanz- bzw. Justierkeile einer rezenten Restaurierungsmaßnahme handelt: Basis und Säule sind durch eine Lagerfuge getrennt. Die genaue senkrechte Justierung des Säulenschafts erfolgt durch Distanzkeile, welche Unregelmäßigkeiten im Lager ausgleichen. Wie an der Detailaufnahme gut zu erkennen ist, besteht das Material zwischen den Keilen aus dem Fugenmörtel (Zement?). Die Keile wurden anschließend herausgezogen oder vermorschen demnächst. Wie diese Versatztechnik noch vor der Vermörtelung aussieht, zeigt das Beispiel des Kapitells auf der rechten Säule.
(* freundl. Hinweis von Naunakhte/Ägyptologie-Forum)
Das Versetzen von Bauteilen mit Keilen oder Distanzhaltern (Schotterplätttchen etc.) findet sich auch bei europäischen Bauwerken aus dem Mittelalter.
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Wien, St. Stephan, südlicher Hochturm 14. Jh.
Versatztechnik von Quadern mit Plättchenjustierung
("Plattlschotter") in den Lagerfugen.
Nachtrag zur Statue Ramses' II. vor dem 2. Pylon in Karnak
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Wie ein Vergleich mit einer historischen Aufnahme von Francis Frith aus der Zeit um 1857 zeigt, stand vor der Restaurierung nur mehr die rechte Ramses-Statue aufrecht. Die Zone mit den Keilspaltungsspuren lag also unterhalb des Schutthorizonts. Ein moderner Spaltungsversuch der Kolossalstatue kann also ausgeschlossen werden. Das so beliebte Fotomotiv der linken Freiplastik mit der von Pinudjem ursupierten Statue Ramses' II. wurde erst in den 50er-Jahren des 20. Jhs. in Teilen gefunden und neu aufgestellt.
Ergänzung: eine Lithographie von David Roberts zeigt, daß die von Frith 1857 aufgenommene Situation schon 1838 bestand. Die bei Frith sichtbare Figur Ramses' II wird bei Roberts durch die einzige noch stehende, fast 20 m hohe Säule der Taharqua-Kolonnade verdeckt (siehe Abb. zu den Leithorizonten Roberts bzw. Aufnahme 2006)
( Identifikation und weitere Informationen zu den Figurengruppen wurden von Naunakhte und Iufaa/ Ägyptologie-Forum zur Verfügung gestellt)
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Zu den beiden Justierlöchern bzw. "Stemmlöchern" an der Sockelplatte der Statue siehe:
Justierlöcher ("Stemmlöcher") an ägyptischen Großbildwerken
8. 2. 2006
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