Das Kapitol Michelangelos und seine urbanistische Problematik.

Das Kapitol Michelangelos und seine urbanistische Problematik.

Rudolf Koch, Wien 1977. Unpubliziert. Illustrationen 2003.



Die Gestaltung des Kapitolinischen Hügels, die Papst Paul. III. 1539 in Auftrag gab, stellte für Michelangelo seine bislang größte urbanistische Tätigkeit dar. Michelangelo hatte dabei einen Platz vor sich, der auf eine lange geschichtliche Tradition zurückblicken konnte, und der immer wieder Ort politischer Machtdemonstrationen war.



Rudolf Koch, Das Kapitol Michelangelos und seine urbanistische Problematik

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1471 ließ Papst Sixtus IV. antike Bronzen -- die Wölfin, den kolossalen Bronzekopf Konstantins, die sog. "palla Sansonis", den Dornauszieher und den sog. "Camillus"--aufs Kapitol bringen, also an jenen Ort, der seiner Meinung nach der ursprüngliche Aufstellungsort war. Er tat damit einen weiteren Schritt auf die Wiederbelebung und Wiederherstellung des antiken Kapitols zu. 1517 trat mit der Aufstellung zweier antiker Flußgötter vom Monte Cavallo -- Nil und Tigris - vor dem Konservatorenpalast eine entscheidende Umorientierung des Platzes ein. Nicht mehr der Senatorenpalast mit der Plastik eines Pferdes, das von einem Löwen gerissen wird, bildete die Hauptachse, sondern die beiden Flußgötter, welche symmetrisch zu beiden Seiten des Eingangs in den Konservatorenpalast aufgestellt worden waren.

Die Löwen-Pferdgruppe, welche Gerichtssymbol für die hier stattfindenden Todesurteile sein sollte, wurde demnach durch eine andere Symbolik ersetzt. Man änderte nämlich die Tigris in eine Roma um und erhielt so mit dem Relief der säugenden Wölfin über dem Eingang des Konservatorenpalastes eine heraldische Gruppe von Roma-Symbolen.

Den Auftakt zum Neubau des Kapitols gab aber Papst Paul III., indem er 1537 gegen den Einspruch Michelangelos und des Kapitels von S. Giovanni in Laterano die Überführung des Reiterdenkmals Marc Aurels veranlaßte. Dieser Entschluß kann mit dem Besuch Kaiser Karls V. in Zusammenhang stehen, der zwar schon im April 1536 erfolgte, aber erst bewußt machte, wie sehr es Rom an einem repräsentativen kommunalen Platz mangelte. Dazu kam noch, daß der Platz nur mühsam über den Weg vom Forum Romanum aus erreichbar war. Das Kapitol konnte sich also in keiner Weise mit anderen Plätzen messen, wie etwa die in Siena oder Florenz.


1538 erfolgte die Überführung des Denkmals und 1539 erhielt Michelangelo den Auftrag, einen Sockel für die Statue anzufertigen. Die Aufstellung erfolgte über einer rechteckigen Basis in der Platzmitte, die zu diesem Zeitpunkt noch eine unregulierte Fläche war.

Das Kapitol vor der Umgestaltung durch Michelangelo und sein Entwurf in der Überlieferung durch Duperac, 1559.


Indem Michelangelo die Reiterstatue in Achse des Senatorenpalastes legte, nahm er eine weitere Umorientierung des Platzes vor. Diese besondere Stellung des Denkmals deutet darauf hin, daß Michelangelo gleichzeitig ein Konzept für die Neugestaltung des gesamten Platzes in Aussicht hatte. Das Original--Konzept Michelangelos ist nicht erhalten, jedoch überliefert Duperac in einigen Stichen von 1567 - 69 Michelangelos Entwürfe.



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Modell des Kapitolinischen Hügels im Museo della Civiltà Romana und heutige Lage im Stadtbild



In der Antike war der Kapitolinische Hügel religiöser Bezirk, standen doch hier der Tempel der Juno Moneta und der Tempel des Jupiter Capitolinus. Aber schon zu dieser Zeit war der Doppelhügel mit legendären Ereignissen in Zusammenhang gebracht worden, man denke nur an die Kapitolinischen Gänse. An der höchsten Stelle in der Mitte befand sich das sog. Tabularium mit dem Archiv der Staatsgesetze und Verträge und dahinter das Asylum, das mit der Legende des Romulus und Remus verbunden war, sollte doch hier einst die Hütte der Stadtgründer gelegen sein, und Romulus hier den aus Latium vertriebenen Völkern Asyl gewährt haben. An dieser Stelle endeten aber auch die Prozessionen und Triumphzüge der römischen Kaiser - ja das Kapitol galt am Ausgang des römischen Imperiums sogar als eines der sieben Weltwunder. Alle Bauten des Hügels waren über eine Treppe vom Forum Romanum aus erreichbar und ihre Fronten waren vom Hügel weg orientiert.





Im Mittelalter verfielen die Bauten und die Adelsfamilie der Corsini errichtete am Tabularium ihre Festung, die sie bis zum Wiedererwachen der geschichtlichen Bedeutung des Kapitols innehatten. 1144 erhob sich die Bürgerschaft gegen die Herrschaft der Päpste und des Adels, vertrieb die Familie Corsini und richtete im Tabularium den Sitz des Senates ein. Mit dieser politischen Wiederbelebung wurde gleichzeitig der erste Schritt zur Neugestaltung des Kapitols getan, indem man den Senatorenpalast vom Forum Romanum weg auf den heutigen Kapitolsplatz orientierte, also auf die mittelalterliche Besiedlungsfläche zu. Von nun an fanden hier auch kommunale Versammlungen statt.



Hypothetische Rekonstruktion des Senatorenpalastes
im 14. Jahrhundert.



In der Mitte des 14. Jahrhunderts errichtete das Zunftgericht an der Südseite des Platzes sein Amtsgericht, in dem auch die römischen Konservatorien untergebracht wurden. Um die Mitte des 15. Jhdts. und um 1520 wurde der "Palazzo dei Conservatori" durchgreifend erneuert und durch die Schräglage zum Senatorenpalast der Grundstock für Michelangelos späteren Bau festgelegt.






Ansicht des Senatoren- und Konservatorenpalastes vor der Umgestaltung durch Michelangelo, Hieronimus Cock, Mitte 16. Jahrhundert.



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Die Grundform des Platzes ist ein Trapez, dessen Seiten durch die Lage der bereits vorhandenen Bauten, dem Senatoren-- und dem Konservatorenpalast, der Kapuziner-Kirche S. Maria in Aracoeli und den Abhang gegen die Stadt hin bestimmt sind. Das Zentrum des Platzes wird von einem eingetieften ovalen Stufenring eingenommen, dessen innere Fläche sich sphärisch nach oben wölbt. An der höchsten Stelle befindet sich die Marc Aurel-Statue, die mit ihrem Sockel, der sich der Form des Stufenringes annähert, das Zentrum des Ovals bildet. Sie ist so ausgerichtet, daß die Statue in Achse mit dem Senatorenpalast liegt, also vom Palast gegen den Abhang zu reiten scheint. Die beiden Seitenflanken werden von den symmetrisch gestalteten, gegen den Senatorenpalast zu divergierenden Palazzi eingenommen. Den Abschluß gegen das Forum Romanum bildet die Fassade des Senatorenpalastes mit ihrer doppelläufigen Treppe und dem überhöhten Mittelturm. Der Aufgang zum Platz erfolgt über eine breite Treppe von der Stadtseite her und endet bei den beiden Rossebändigern und der den Platz abschließenden Balustrade.


Das Kapitol Mitte des 18. Jahrhunderts, die Rossebändiger. Ansicht um 1600, noch ohne den Palazzo Nuovo.




Durch diese Maßnahmen hatte Michelangelo einen sehr entscheidenden Eingriff in die vorhandene Platzstruktur vorgenommen, der nicht nur den Grundriß betraf, sondern auch die Gesamterscheinung.

War vorher im wesentlichen eine optische Achse vom Konservatorenpalast zum Langhaus der Aracoeli gegeben und damit eine gewisse Gegenüberstellung von profanem und sakralem Bereich, so wurde jetzt die Aussicht auf die Aracoeli durch den Palazzo Nuovo verstellt. Desgleichen konkurriert die neue Treppe des Kapitols mit dem Aufstieg zur Aracoeli. Der vorher eher unbedeutende Senatorenpalast stand nun wieder in der Hauptachse.

Was aber weitaus einschneidender ist, läßt sich im Vergleich mit der Gesamterscheinung des Platzes aufzeigen. Der vorher vorhandene Platz war eine unbebaute offene Fläche, auf der die beiden Palazzi additiv zueinander gestellt wurden. Auch untereinander zeigten die beiden Gebäude wenig architektonischen Bezug zueinander. Die Platzachsen - wenn man bei einer solch additiven Anordnung der Bauten überhaupt von Achsen sprechen kann - waren kaum ausgeprägt und nur durch die Stellung der beiden Flußgötter bestimmt. Die Palazzi selbst hatten in sich. unsymmetrische Fassaden.

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Dem entgegengesetzt steht Michelangelos Entwurf. Durch die Aufstellung der Marc Aurel -- Statue wird der Platz zentriert und die Hauptachse auf den Senatorenpalast ausgerichtet. Der Senatorenpalast wird mit einer siebenachsigen, zweistöckigen Fassade versehen, die sich über einem Sockelgeschoß erhebt. Diesem Geschoß ist eine zweiarmige Treppe vorgeblendet, die zum Mittelportal des Senatorenpalastes führt, und von einem Säulenbaldachin überdacht wird. Vor der Treppe befinden sich die zwei hierher versetzten Flußgötter, nun nicht mehr zueinander angeordnet, sondern dem Anstieg der Treppe folgend gegeneinander gestellt. In der freien Mitte unter dem Baldachin plante Michelangelo eine Nische mit der Figur Jupiters, wohl in Anlehnung an den einst hier befindlichen Tempel des Jupiter Capitolinus. Die gegen die Mittelachse zu ansteigende Treppe bewirkt mit ihrem Baldachin eine Vertikalisierung der Fassade, die sich im Mittelturm fortsetzt. Der Palazzo dei Senatori ist also jetzt architektonisch überhöhter Hauptbau und optischer Bezugspunkt für den Betrachter, der von der großen Treppe des Platzes her kommt. Die beiden flankierenden Bauten schließen -- aus der bereits erwähnten Schrägstellung des ehemaligen Konservatorenpalastes - den Platz trapezförmig ab. Ihre zueinander symmetrischen Fassaden öffnen sich im Untergeschoß in einer Loggia mit einer architravierten Säulenstellung. Die Obergeschosse mit den Ädikulafenstern werden durch die Riesenordnung -- hier erstmals an einer Palastfassade verwirklicht -- zusammengefaßt. Alle sieben Achsen beider Palazzi sind gleich gestaltet, d. h. der Eingang, der in der Mitte unter der Loggia liegt, bleibt architektonisch unbetont. Wichtig ist auch, daß die Loggien an der Stirnseite nur in einer Travée ausgebildet sind, und erst im ausgeführten Bau, also wesentlich später, zwei Travéen umfassen. An der Vorderseite des Platzes befindet sich die Balustrade, an deren treppenseitigen Ecken die Dioskuren stehen. Der ovale Stufenring öffnet sich in einer Nase zur Platztreppe und mit zwei Nasen gegen den Senatorenpalast.

Aus diesen Beobachtungen folgt, daß

1. alle Teile, sowohl die Palazzi als auch der Stufenring und die Marc Aurel-Statue als Gesamtheit zu betrachten sind, bei der kein Teil ohne Zerstörung der Einheit verändert oder entfernt werden kann;

2. es im Gegensatz zur alten Anlage nur eine, auf den Senatorenpalast ausgerichtete betonte Achse gibt;

3. der Palazzo Nuovo und der Palazzo dei Conservatori als gleichwertige Flügelbauten dem Senatorenpalast untergeordnet sind, da sie in ihrer Gliederung weniger dominant sind, und durch das Fehlen einer betonten Mittelachse keine Querachse ausbilden;

4. der Platz durch die zufällige Schrägstellung der Bauten und die Ausführung nur einer Travée an den Stirnseiten der Palazzi sowie durch die Stellung der beiden Figuren an der Treppe in sich geschlossen ist.

Das einzige Beispiel, das sich bei einer solchen Platzkonzeption unvermittelt aufdrängt - der Hauptplatz von Pienza - ist zugleich auch das gegensätzlichste.

Papst Pius II. Piccolomini setzte sich mit diesem Platz ein Denkmal in seiner Geburtsstadt. Auch hier bilden der Palazzo Vescovile, der Palazzo Piccolomini und die über Substruktionen in den Abhang hinaus geschobene Kirche einen trapezförmigen Platz aus, der aber nach allen Seiten offen ist. An seiner Vorderfront führt der Corso vorbei, vom Palazzo del Pretorio stößt eine Straße auf die Kirche zu und hinter der Kirche wirkt die Szenerie der Landschaft.



Pienza, Piazza Piccolomini
Die Paläste haben untereinander keinen architektonischen Bezug und sind auch in ihrer Wertung nicht einem bestimmten Hauptbau untergeordnet. Die Ausbildung einer Hauptachse, welche mit der Treppe des Kapitols vergleichbar wäre, fehlt, da in Pienza die Ader dieses Straßendorfs, der Corso, seitlich am Platz vorbei läuft.

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Den einzigen Versuch, die Zusammengehörigkeit der Bauten zu unterstreichen, stellt das schachbrettartige Muster des Pflasters dar, aber es erfolgt dadurch keine Zentrierung des Platzes. Dies wird umso deutlicher, als der Brunnen - an und für sich ein mögliches Motiv für eine Zentrierung -- seitlich am Palazzo Piccolomini plaziert ist.

Bei diesem städteplanerischen Konzept, welches rund 100 Jahre vor Michelangelo liegt, bleibt immer noch das Additive der Lösung spürbar, das sich zwar bereits wesentlich vom Mittelalterlichen unterscheidet, aber sich dennoch von der subordinierenden Integration des Kapitols unterscheidet.

Der Vergleich mit Pienza zeigt auch einen anderen Aspekt auf. Der Corso von Pienza verläuft seitlich der Piazza Piccolomini und erschließt so den Platz dem Verkehr. Das Kapitol hingegen war nie im Zuge eines großen Straßensystems, denn selbst der Corso, der von der Piazza del Popolo direkt auf das Kapitol zustößt, endet schon vorher in einem kleinen Gewirr von Gassen. Das Kapitol ist also immer ein städtebaulich isolierter Hügel gewesen.

Die urbanistische Tätigkeit der Renaissance-Päpste, von Nikolaus V. bis Paul III., verfolgte andere Interessen als die Errichtung eines Stadtplatzes, so die Wiederherstellung der Wasserleitungssysteme, um die Hügelketten Roms wieder bewohnbar zu machen, die Reparaturen der alten Brücken und Verkehrswege und die Verbreiterung bzw. den Neubau der Straßenzüge zu den Stationskirchen, um den Pilgerstrom zu bewältigen.

Nikolaus V. plante im Zuge seines Umbaus der Leo--Stadt, des Vatikans und der Peterskirche ein Projekt, zu dem ihm vielleicht L. B. Alberti zur Seite stand, bei dem er den Platz bei der Engelsbrücke freilegen wollte und davon ausgehend drei Prachtstraßen projektierte. Die mittlere Straße sollte auf die Basilika zugehen, die rechte und linke zum Vatikan und zu den gegenüberliegenden Bauten. Diese Straßen sollten mit Säulenhallen, Kaufläden und Räumen für die päpstliche Hofhaltung begrenzt werden. Es hätte sich dabei also um Projekte gehandelt, bei denen mit gleich gestalteten Fassaden und dreieckigen oder trapezförmigen Plätzen zu rechnen wäre.

Diese Idee des "Dreiweges" -- wie es bei Alberti heißt -- und bei dem es sich um eine städtebauliche Konzeption handelt, welche im Prinzip wie ein Forum aussieht, nur kleiner ist, taucht während der römischen Stadtentwicklung unter den Päpsten vor Michelangelo immer wieder auf. Man denke nur einmal an das Straßensystem bei der Ponte S. Angelo zur Via Giulia hin.

Die Wurzel zu Pienza liegt unter anderem auch in solchen modifizierten Dreiwegen und schließlich ist hier noch einer der eindrucksvollsten Plätze Roms zu erwähnen -- die Piazza del Popolo - die aber zeitlich nicht mehr zur Planung des Kapitols gehört.

Die Entwicklung der Idee, schräggestellte, divergierende Baukörper zu einer künstlerischen Einheit zu komponieren, der ein eigenartiger und spannungsgeladener Reiz innewohnt, könnte über den Dreiweg zu Pienza und von hier aus zum Kapitol gelangt sein. Denn daß die Schrägstellung beim Kapitol durch den alten Konservatorenpalast vorgegeben war, schließt nicht unbedingt ein, den Platz symmetrisch zu gestalten, oder die ursprüngliche Lage der Bauten beizubehalten.
Schon bei der Piazza Piccolomini wurde darauf hingewiesen, daß die Fassaden keine zusammenfassende, architektonische Gliederung besitzen. Aber es gibt einen Platz, der diese einheitliche Gliederung vorweg nimmt, wenn auch nicht im Zuge einer Gesamtplanung.


Die Piazza der SS. Annunziata in Florenz stellt ein typisches Beispiel für eine gewachsene und dennoch weitgehend einheitliche Platzgestaltung dar. Der am frühesten gestaltete Teil ist die Loggia des Findelhauses Brunelleschis von 1422 - 24, dann folgt in Angleichung dazu die Fassade der SS. Annunziata von Manetti 1447 -- 52 und schließlich Antonio Sangallos d. J. Loggia neben dem Palazzo Grifoni von 1516 -- 25. Hier bestand also kurz vor dem ersten Auftrag Michelangelos zur Gestaltung des Kapitols ein auf Einheitlichkeit abzielender Platz, der später -- wohl als Reflex zum Kapitol - 1608 eine Reiterstatue des Großherzogs Ferdinand I. von Giovanni da Bologna erhielt.

Florenz, Piazza SS. Annunziata, links das Findelhaus.

Der Platz selbst ist über eine direkt vom Dom her kommende Straße und eine an der SS. Annunziata vorbeiführende Straße erschlossen. Das Werden dieses Platzes lag durchaus im Beobachtungsbereich Michelangelos, der mehrmals in Florenz weilte, insbesondere während seiner Tätigkeit an der Capella Medicea von 1520 bis 1534. In Florenz könnte also eine der Wurzeln für die einheitliche Fassadengestaltung liegen.

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Wie aber ist nun der Kapitolsplatz zu verstehen, bei dem es einige Momente gibt, welche sich nicht über diese Wurzeln herleiten lassen? Die Mitte des Platzes wird von einem ovalen Stufenring eingenommen, der in den Boden eingetieft ist und ein sich zur Platzmitte wölbendes Paviment beinhaltet. Für diese Erscheinung gibt es in der Architektur meines Wissens nach keine Entsprechung oder gar ein Vorbild. Dieses Phänomen gab in der Literatur Anlaß zu verschiedenartigsten Deutungsversuchen, die in den 30er Jahren unseres Jahrhunderts zu einem teilweise unerquicklichen Gelehrtenstreit führten.


Den Auftakt dazu bildet Tolnai's "Beiträge zu den späten architektonischen Projekten Michelangelos" von 1930, indem er die ovale Platzmitte mit dem zentrifugalen Sternmuster als Kontrast des Trapezraumes, der durch die zentripetalen Kräfte der beiden Palazzi gebildet wird, sieht. Für Tolnai wird dabei das Oval rücklings umfangen, und es kommt durch das Oval zu einem zweiten Raumzusammenhang, der nicht auf den ersten Raumzusammenhang, den trapezförmigen Platz, Rücksicht nimmt.

Die Idee, die diese Komposition ausdrückt, ist demnach keine rein architektonische, sondern durch künstlerische Gestaltung soll der innere Sinn des Kapitols erlebbar werden: das Kaput mundi. Die konvexe Innenfläche des Ovals ist als ein Stück des sich empor wölbenden Globus zu verstehen. Tolnai verweist auf die "Mirabilia" und die "Graphia aurae urbis Romae", in denen das Kapitol als "Caput totius mundi" bezeichnet wird.

Die Paläste überwinden somit in dem Oval die Totalität des Irdischen, das hier durch das Emportauchen des Erdballs bewußt wird, und errichten über ihm eine vom Erdraum unberührte. höhere Sphäre des Seins. Die in dieser "zweiten Welt" wirksame Kraft verkörpert die Kolossalordnung, welche auf die der irdischen Tektonik gehorchende Baumasse herabgesenkt wird. Diese Kolossalordnung ist kein tektonisches Stützen--Lasten--System, sondern ein der irdischen Schwerkraft--Bedingtheit enthobenes, massenbindendes Bändersystem. Michelangelo gestaltet also die Freiraumanlage des Platzes zum geschlossenen, dynamisch durchwalteten Organismus um. Die damit bereits eingangs festgestellte Ganzheit des Platzes würde dem hier erwähnten nicht widersprechen.

Sedlmayr entgegnet dazu 1931 in "Die Area Capitolina des Michelangelo" wertend, daß man solche Deutung tief und evident oder absurd und lächerlich finden könne. Für ihn fehlt zu dieser Deutung das Mittlerglied zwischen den angeführten Quellen und der daraus notwendig folgenden Lösung Michelangelos. Gerade dem Emportauchen des Globus wird - durch das Sternmuster, das vom Stufenring nicht überschnitten wird - widersprochen. Man müsse nach Sedlmayr den Platz betreten, um festzustellen, daß man, durch die Wölbung bedingt, den Platz von hier aus nicht übersehen könne und werde dadurch, vom Sternmuster unterstützt, in die seitlichen Arkadengänge abgedrängt. Das Oval mit der Reiterfigur sperrt also den Platz. Im Gegensatz zu Tolnai sind nicht zwei gegeneinander arbeitende Systeme vorhanden, sondern das Oval wird durch die in einem geheimen Dreieck angeordneten Nasen des Stufenrings zur Eiform verzerrt. Das Oval paßt sich dem Trapez an. Der Platz ist somit ein Raumzusammenhang. Dabei sind die Paläste im konvergierenden Zusammenrücken begriffen und leisten der Kontraktion Widerstand, wobei das Oval die kontrahierende Kraft ist.

Ackermann bietet weitere Deutungen an, so als antiker Schild mit dem "imago clipeata" oder mittelalterliche kosmologische. Diagramme, wie sie bei St. Isidors "De natura rerum" überliefert werden. Diese Deutungen nehmen aber nicht auf die untrennbare Ganzheit der michelangesken Lösung Rücksicht und geben damit keine Erklärung für das Gesamtkonzept. Da mir die nötige umfassende Kenntnis des Materials für solche symbolische Deutungen fehlt bzw. nicht zugänglich ist und sie überdies, wie vorher angedeutet, nicht die offensichtlich vorhandene Ganzheit des Konzepts treffen, muß ich diese Frage offenlassen bzw. ausklammern.

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Den jüngsten Ansatz zu einer Erklärung des Ovals und gleichzeitig zu einem möglichen Weg der Deutung über den typologischen Vergleich bietet Herbert von Einem (1973). Er verweist auf Michelangelos ersten Entwurf für das Julius-Grab von 1505, in dem die Grabkammer im Inneren ebenfalls ein Oval darstellt. In einer Synthese mit diesem Vergleich und Sedlmayrs Analyse kommt er zu folgendem Ergebnis: "Der Ovalring hat die doppelte Aufgabe der Isolierung des Reiterstandbildes und die Betonung der Platzmitte und damit der Längsachse. Das Zusammenspiel von Ovalform und Trapez des Platzes gibt eine Spannung architektonischer Kräfte wieder, die - für Michelangelos Formgefühl charakteristisch - hier auf einen Freiraum übertragen wurden.

Durch das geheime Dreieck im Oval, das durch die Nasen des Stufenrings gebildet wird, wird diese Spannung noch erhöht." Vorsichtiger formuliert von Einem: "Die 12 Strahlen der mittleren Sternenkrone erinnern an die 12 Tierkreiszeichen. Nicht unmöglich, daß sie den Imperator zum Kosmokrator erhöhen sollten."
Zieht man dazu noch Hypothese der plastischen Auffassung der Architektur und des Durchdringens von Körpern bei Michelangelo ins Kalkül, so läßt sich folgender Schluß daraus ziehen:

Michelangelo komponiert einen Freiraum, der in sich nach außen geschlossen ist, was an drei Seiten durch die aufeinander bezogenen Paläste erreicht wird. Die vierte Seite wird durch die relativ hohe Balustrade gesperrt. Die einzige offene Stelle, der Zugang über die Treppe, wird dabei durch die ursprünglich geplante Stellung der Dioskurengruppe abgeschlossen, die nicht wie bei Giacomo della Porta den Platz nach außen öffnet. Michelangelo nützt dabei die vorgegebene Schräglage des ehemaligen Konservatorenpalastes zu einer symmetrischen, trapezförmigen Platzlösung aus. Durch das Oval und die gewölbte Mittelfläche mit der Reiterstatue über ovalem Sockel deutet er die statische Trapezform im Sinne von dynamisch wirksam werdenden Kräften um. Durch das Empordringen der gewölbten Mittelfläche entgegen dem Stufenring hebt er die Statue auf und die dabei auftretenden Kräfte scheinen die Ursache der Schrägstellung der Paläste zu sein. Dieses Aufwärtstauchen und Zusammenziehen der einzelnen Baukörper drückt sich auch in der Treppenlösung des Senatorenpalastes aus, der nicht wie üblich nur eine einläufige Treppe besitzt, sondern durch das Ansteigen der beiden seitlichen Läufe zum Mittelbaldachin die Kräftebewegung mitmacht, die sich in der Mittelstellung des Turmes fortsetzt. Das vertikale. Moment wird noch durch die Riesenordnung und die Attikafiguren unterstützt, die hier an Palastfassaden zum ersten Mal verwirklicht werden. Dabei bedient er sich einzelner Formen, die er schon vorher an anderer Stelle verwendet hatte, wie dem Oval beim Julius-Grab oder der Treppe im Belvedere-Hof. Beim Kapitol können Anregungen wie die Pienzas oder Florenz eine Rolle spielen.

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Wie sehr diese Lösung für Michelangelo einzigartig ist, zeigen nicht nur das Fehlen eines unmittelbaren Vorbildes, sondern auch der "negative" Vergleich mit dem ausgeführten Bau Giacomo della Portas.

Der überhöhende Baldachin des Senatorenpalastes fehlt, die Dioskuren-Gruppe ist um 90° gedreht und öffnet den Platz, die Musterung des Ovals verdeutlicht nicht mehr den inneren Kraftfluß, sondern ist durch ein vektorloses Strahlenmuster ersetzt, und der Konservatorenpalast bildet durch ein großes Mittelfenster eine Querachse aus. Die Seitentravéen der flankierenden Paläste sind verdoppelt und mit einem Wappen überhöht. Das Figurenprogramm, Michelangelos wurde dabei nicht wesentlich verändert und dennoch ist das Kapitol in seiner Wirkung ins Gegenteil gekehrt. Die Lösung Michelangelos ist also nicht vom Programm her bestimmt, sondern von seiner künstlerischen Auffassung, die städtebaulich ein isoliertes Phänomen darstellt.


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