Westturmanlage - Die niederösterreichische Gruppe
Index
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Künstlerisch nimmt die Entwicklung der Westturmkirche mit St. Peter und Nonnberg im 11. Jhdt. ihren Ausgang, geht dann im 12. Jhdt. auf die Salzburger Besitzungen über, wo-bei zunächst noch die Außengliederung mit geschoßweiser Durchfensterung der beiden Vorbilder beibehalten wird. Im 13. Jhdt. folgen die nichtsalzburgischen und passauischen Beispiele, deren Charakteristikum die geschlossene blockhafte Form ist. Außerdem sind nach dem 12. Jhdt. keine liturgischen Hochgeschosse mehr festzustellen.
Die "Niederösterreichische Gruppe"
Die meisten Westturmkirchen des 12. u. 13. Jhdts. in dieser Gruppe gehören dem schon von Salzburg her bekannten Typus des achsialen Fassadenturmes an. Die erste Variante, der
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geschlossene Typus, wird von Wien/St. Ruprecht (um 1130/40 und um 1160), Thunau (um 1140), Limberg (um 1140), St. Andrä an der Traisen (um 1160) und Stillfried a. d. March (12.Jhdt.) vertreten. Die zweite Variante, der Vorhallenturm, kann erst um 1200 in Petronell nachgewiesen werden, wenn das barocke Westportal einen romanischen Vorgänger ersetzt. Welcher der beiden Varianten die Piaristenkirche von Krems zuzurechnen ist, bleibt ungewiß. Wahrscheinlich war der Turm ursprüng-
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lich geschlossen und wurde in der Gotik durch ein Portal seitlich geöffnet. Erst an Westtürmen des 13. Jhdts. tritt in NÖ der offene Typus in vier Beispielen auf, doch werden,
wie die Pfarrkirche von Drösing (4. V. 13. Jhdt,) zeigt, Taf. 27 weiterhin geschlossene Typen errichtet.
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Im Gegensatz zur "Salzburger Gruppe" des 12. Jhdts. zeigen diese Bauten - mit Ausnahme von Petronell - keinerlei Außengliederung durch Lisenen oder Rundbogenfriese. Die glatte Mauerfläche wird nur im Glockengeschoß durch Biforenfenster aufgelöst, deren Trennungssäulchen als meist einziges datierendes Baudetail mit attischen Basen und Würfel- od. Knospenkapitellen versehen sind. Die darunterliegenden schmalen Schlitzfenster drücken keine Geschoßteilung des Turmes am Außenbau aus. Lediglich im ersten Obergeschoß der Westtürme
von St. Andrä a. d. Traisen, Thunau und an der Piaristen-
Taf.71,80 kirche in Krems befindet sich jeweils ein breiteres Rund-
bogenfenster, das der Belichtung eines Hochraumes dient. Auch bautechnisch unterscheidet sich der Typus der "Nieder-österreichischen Gruppe". Die Türme bestehen aus Bruchstein-
mauerwerk mit Ortsteinen und der Raumschacht springt im Inneren nicht geschoßweise zurück, sondern geht gerade durch. Das stilistische Gesamtbild dieser Turmtypen ist das eines schweren, ungegliederten Baukörpers von gedrungener Form mit unstrukturierter Mauerfläche. Die schmalen Schlitzfenster u.das geschlossene 1Außere dieser Anlagen lassen zunächst an einen Wehrturm oder an eine "provinzielle" Architektur von niedrigem Qualitätsniveau denken. 9) Der Wehrcharakter scheint zwar offensichtlich, doch sind die mächtigen Mauern ein all-gemeines Bauprinzip der Romanik. Die Schlitzfenster hingegen eignen sich nicht als Schießscharten, da sie nur einen sehr schmalen Blickwinkel ohne taktische Bedeutung freigeben. Schießscharten müßten sich in einem viel stärkeren Maße trichterförmig nach innen öffnen. Außerdem fehlt es bei den Türmen des 12. Jhdts. an passiven Wehreinrichtungen,
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wie z. B. speziell verriegelbare Türen. 10) Die "provinzielle" Komponente scheidet zumindest in Thunau und St. Andrä a. d. Traisen aufgrund der Kirchengröße und ihrer Bedeutung als Großpfarre bzw. Klosterkirche aus. Es sind vielmehr die Stilelemente der Frühromanik, die bei diesen Bauten noch im 12. Jhdt. weiter tradiert werden: ungegliederte; ungeschichtete Mauermassen und unmittelbar in die Mauer eingeschnittene Fensteröffnungen. Ein ähnliches Phänomen läßt sich allgemein auch an anderen Landkirchen in NÖ feststellen. 11) Der Stil des 12. Jhdts. drückt sich vielmehr in der Bauplastik an Portalen und Säulenformen aus. Damit steht die "Niederösterreichische Gruppe" im Gegensatz zur "Salzburger Gruppe", die im 11. u. 12. Jhdt. die von Italien her beeinflußte Auflösung der Mauermasse mit geschoßweiser Durchfensterung und die plastische Rhythmisierung der Wand mit Lisenen und Rundbogenfriesen zeigt. Eine Ausnahme stellt St. Ruprecht in Wien dar, wo zwei Fenstergeschosse übereinander-liegen, jedoch entstand diese Disposition erst durch nachträgliche Aufstockung des älteren Turmes um 1160.
Eine stilistische Ableitung der "Niederösterreichischen Gruppe" von den Salzburger Bauten des 11. u. 12. Jhdts. scheint bei diesen Unterschieden unzutreffend. Die block-hafte Form und der Typus des geschlossenen Fassadenturms lassen sich hingegen schon um 1100 und während der gesamten Romanik vermehrt in Böhmen nachweisen. E. BACHMANN (1977) 12) meint zur kunstlandschaftlichen Leitform des Einzelwestturmes, daß in Böhmen,im Gegensatz zu den an-grenzenden Ländern,eine ausgesprochene Westturmlandschaft vorhanden sei, die in ihrer Verbreitungsdichte nurmehr
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vom Norden und Nordwesten Deutschlands übertroffen werde. Die Hauptform vertritt dabei in Böhmen der geschlossene Typus, während gegen Westen der Vorhallentypus zunimmt. Nach V. MENCL (1965) 13) sind die frühesten Beispiele
des geschlossenen Typus in Porici (um 1100), in Zbraslav
Taf. 28 (Königsaal, um 1115) und in Neustupov (um 1100) erhalten.
Alle drei Kirchen zeigen verschiedene Varianten von Emporen-einbauten, welche die Spannweite der architektonischen Möglichkeiten belegen. Porici hat ein zur Gänze gegen das Lang-
haus geöffnetes Obergeschoß mit Hocheinstieg, wobei sich
Taf.28/1 die Empore des Obergeschosses bis ins Langhaus zieht. In
Zbraslav führt der Hocheinstieg direkt auf die Empore im Langhaus, der Turm kommuniziert nur im Erdgeschoß mit dem
Langhaus. In Neustupov gelangt man zunächst vom Hochein-
Taf. 28 /3 stieg ins Turmobergeschoß und dann durch eine schmale Tür
auf die Empore. Auffallend sind die übereinandergestellten Biforenfenstergruppen in den letzten beiden Turmgeschossen von Porici und Neustupov, die nicht die oberitalienische Form mit zunehmender Fensterachsenzahl zeigen, sondern das additive System nordwestdeutscher Türme. Ab der 2. H. des 12. Jhdts. kommt es in Böhmen zur plastischen Durchbildung
der Wand mit Lisenen und Rundbogenfriesen, wie z. B. in
Taf.29/3 St. Jakob bei Kuttenberg (gew. 1165). Die "Niederöster-
reichische Gruppe" ist daher, im Gegensatz zur bisherigen Ansicht, daß in Österreich der Westturm von Salzburg ab-zuleiten sei (z. B. PUHRINGER), mit Böhmen in Verbindung zu bringen.
Die "Niederösterreichische Gruppe" zeigt ebenfalls im 12. Jhdt. Türme mit liturgisch benutztem Obergeschoß,
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mit Ausnahme von Limberg. Im Augustinerchorherrenstift St. Andrä a. d. Traisen ist es, wie schon in Suben, ein
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kapellenartiger, gewölbter Raum über dem Erdgeschoß. Die Anlage gehört zu den bei Klosterkirchen öfter auftretenden Oratoriumstürmen. 14) In St. Ruprecht in Wien konnten an-
läßlich einer Restaurierung Reste eines gewölbten Emporen-Taf. 85 geschosses festgestellt werden. 15) Ob diese Empore auch in den Bereich der späteren gotischen Empore reichte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Die von V. MENCL (1965) durchgeführten Untersuchungen deuten an; daß die älteren Typen zu Beginn des 12. Jhdts. sowohl die Turmempore als auch die Galerieempore zeigten, mit Kuttenberg werden dann
Taf.29/3 um 1165 beide Typen vereint. 16) Dies würde dafür sprechen,
daß St. Ruprecht in seiner ersten Bauphase um 1130/40 als Emporenturm zu rekonstruieren wäre.
Der Westturm von Thunau wurde in der 2. H. d. 13. Jhdts.
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in den jüngeren dreischiffigen Kirchenbau zur Gänze integriert und im ersten Obergeschoß verändert. Den heute erhaltenen weiten Bogenöffnungen im ersten Obergeschoß entsprach wahrscheinlich im 12. Jhdt. ein dreiseitig geschlossener Fassadenturm mit Fensteröffnungen auf die Empore.
Taf. 80 Die Rekonstruktion der ursprünglichen Form wird dadurch
erschwert, daß die letzte Restaurierung genauere Bauuntersuchungen unmöglich macht. 17) Die veränderte Westturmanlage des 13. Jhdts. weist in Höhe des Emporengeschosses und neben der nördlichen inneren Turmmauer einen Hocheinstieg auf, der mit der höherliegenden Burg durch einen Gang verbunden war. Eine ähnliche Anlage dürfte schon
beim ersten Kirchenbau des 12. Jhdts. vorhanden gewesen sein.
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Die früheste Anlage, die Burg und Kirche zu einer Einheit verband, kann im 1. V. d. 12. Jhdts. an der ehemaligen
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Pfarrkirche von Zwettl erfaßt werden. Die Kirche vertritt den Typus des integrierten Westturms über einer Emporenanlage, der hier zum ersten Mal auf österr. Gebiet errichtet wurde. Erhalten hat sich davon nur die Westwand, die Empo-
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renanlage und der dachreiterartige Abschluß des überhöhten Turms gehören der barocken Umbauphase an. Die völlig ungegliederte Westwand aus sorgfältig bearbeiteten Quadern hat im Erdgeschoß einen veränderten achsialen Eingang, darüber einen seitlichen Hocheinstieg, vermutlich mit einer Außengalerie, und im nächsten Geschoß einen weiteren achsialen Hocheinstieg, der über den Turm in den Dachraum führt. Die barocke Empore gliedert sich in zwei Geschosse mit je drei segmentbogigen Arkaden. Bedingt durch die beiden romanischen Hocheinstiege muß der barocken Empore eine Anlage ähnlicher Gestalt vorangegangen sein. Der untere der beiden Hochein-
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stiege war über einen archäologisch nachgewiesenen Gang mit
der Mauer der Kuenringer-Burg verbunden und führte von dortTaf.84/2 zum südlich gelegenen Festen Haus. Diese Situation entspricht der Burg-Kirchen-Anlage von Gars/Thunau.
Die zeitliche Einordnung dieses Typus stellt jedoch ein ungelöstes Problem dar. Formal tritt der integrierte Turmtypus bereits im 11. Jhdt. bei der Metzer Gruppe auf, hier aber Taf. 23 ohne Empore über einer Art Narthex und ohne Hocheinstieg.18) Dies erklärt sich aus dem anderen Verwendungszweck, da bei den Metzer Beispielen eine Burganlage fehlt.
Die 27 Vergleichsbeispiele, die der Rekonstruktion von
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Zwettl entsprechen, gehören nach A. TOMASZEWSKI (1974) 19)
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dem 13. Jhdt. an und befinden sich auf ungarischem Gebiet. Gegenüber diesen 27 Objekten kann in Ungarn nur die Kirche von Bukkszentmärton ins 12. Jhdt. und in Böhmen die Prager Martinskirche in der Mauer ins 3. V. d. 12. Jhdts. datiert
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werden. 20) Auch die Michaelskirche von Drazovice, die V.
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MENCL (1937) 21) aufgrund einer Ortsnennung von 1113 ins frühe 12. Jhdt. datiert, wird von der neueren Literatur Ende 12./Anfang 13. Jhdt. angesetzt. 22) Die meisten dieser Bauten sind jedoch nicht urkundlich gesichert und werden erst in der jüngeren Literatur zu einer Gruppe ab 1200 zusammengefaßt. Da an der Westanlage von Zwettl
im Quadermauerwerk keinerlei Baufugen auf eine zweiphasige Bauabfolge hindeuten, muß die ursprüngliche Emporenanlage wegen der Erwähnung der Pfarre spätestens um 1132 errichtet worden sein. 23) Folgt man der Frühdatierung von Drazovice bei V. MENCL, kann angenommen werden, daß dieser Burgkirchentypus bereits im 12. Jhdt. eine gewisse Verbreitung hatte, der dann im 13. Jhdt. in Ungarn zum festen Bestand-teil ländlicher Herrschaftskirchen wird. Zur Herkunft des integrierten Turmtypus nimmt G. ENTZ (1959) 24) an, daß er als ungarische Eigenheit durch Reduktion aus komplizierteren Emporenanlagen der meist doppeltürmigen Sippenklöster entstand. Die Ableitung scheint jedoch wenig befriedigend, vor allem weil, wie gezeigt wurde, der Einzelwestturm nicht aus der Reduktion der Doppelturmanlage, sondern aus der Dreiturmanlage abzuleiten ist.
Die Verbindung von Einzelturm, mehrgeschossiger Galerieemporenanlage, unterer Durchgangshalle und Hocheinstieg
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mit Verbindungsgang zur Burg spiegelt letztlich ein Kommunikations- und Architektursystem wider, welches schon bei der Anlage der Aachener Pfalz ausgebildet war. Vom Innenraum aus gegen Westen gesehen wirken die zwei Geschosse der integrierten Turmempore mit den drei Bogenöffnungen wie die Kurzformel der Innengliederung der Aachener Pfalzkapelle. G. ENTZ (1959) 25) beschreibt analog dazu: "Hinter der Westfassade über der dreiteiligen Bogenöffnung des Erdgeschosses erhebt sich die Herrschaftsempore, bekrönt in der Mitte von einem kleinen Turm." Der Einzelwestturm ist ähnlich wie in Aachen ein architektonisches Hoheitssymbol, welches den Ort der Herrschaft angibt. Damit wird neben den beiden vom Aachener Zentral-bau ableitbaren Formen der Herrschaftskirche, der Rundkirche und der doppelgeschossigen Kapelle, ein weiterer Typus faßbar, der das Turm-Emporen-System auf den Rechtecksaal überträgt.
Der integrierte Westturmtypus hat in Österreich, mit Aus-
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nahme von Zwettl und Thunau (Umbau der Burgkirche im 13. Jhdt.?),
keine bedeutende Nachfolge erlangt. Um 1200 wird der Taf. 87 Typus noch einmal in Güssing aufgenommen, doch hier bereits an einem kleinen Apsidensaal und ohne Hocheinstieg. Diese einfache, reduzierte Form leitet sich direkt vom ungarischen Raum ab, zu welchem Güssing im 13. Jhdt. gehörte. Ausschlaggebend für die Übernahme in Güssing war wohl nicht die Verwendung als Burgkirche, sondern ein kunstlandschaftlicher Faktor.
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Ein weiterer Typus der Westtürme innerhalb der "Niederösterreichischen Gruppe" konnte nur in den Fundamenten festge-
stellt werden. Die Pfarrkirche von Klosterneuburg/St. Martin II, ein Saalraum mit Chorquadrat aus der Zeit um 1000, wurde vor 1280 um einen Westquerbau, St. Martin II a, erweitert, der
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aufgrund der Fundamentstärke als Turm interpretiert werden kann. 26) Ein quadratisches Fundament im Westteil des älteren Saalraumes dürfte den Stützpfeiler einer Westempore getragen haben. Auch der Nachfolgebau, die frühgotische Kirche St.
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Martin III um 1280, hatte eine Westempore über vier Stützen. Es ist daher mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Turm von St. Martin II a die Empore des Vorgängerbaus mitbenützte oder eine eigene Emporenanlage im Inneren trug.
Der querriegelartige Westbau hat seine Wurzeln und die größte Verbreitung im niedersächsih-westfälischen Gebiet. Ab der Mitte des 12. Jhdts. kann er nach A. TOMASZEWSKI (1974) 27) bereits in Milevsko/Böhmen nachgewiesen werden, wo er
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dann gegen Ende des 12. Jhdts= und bis zur Mitte des 13. Jhdts. mehrmals auftritt. In Ungarn existiert ein weiteres Beispiel am Plattensee in Als6örs (13. Jhdt.). In Österreich konnte bis auf St. Martin II a keine weitere Anlage dieses
Typs ergraben werden. Die Verbindung von querriegelartigem Taf. 88 Westbau mit liturgischem Obergeschoß (Enpore?) komsrt jedoch in anderer Form beim Bau der Schottenkirche in Wien zur Anwendung. Der Babenberger-Stammbaum (um 1490) gibt die Klosterkirche als Querhausbasilika mit Vierungsturm und westl. Querblock wieder. Dieser ist durch ein Trichterportal zu betreten und war nicht durch Turmaufsätze überhöht. Der sonst ungegliederte Baublock hat im obersten Geschoß eine Art Blendbogengliederung, viel-
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leicht vermauerte Schallöffnungen. 28)
W. BRAUNEIS und R. PERGER (1977) 29) vergleichen diesen anspruchsvollen querhausartigen Bau, eine Stiftung Herzog Heinrichs II. Jasomirgott von 1155, mit der Westanlage von St. Jakob in Regensburg,unter Verweis darauf; daß in Regensburg das Erdgeschoß Schauplatz für landesfürstliche Rechtshandlungen gewesen wäre. "Die Westanlage der Wiener Schottenkirche folgt somit den salischen Kaiserdomen, wo Porticus und Empore für Rechtshandlungen und Gottesdienst des Herrschers dienten." 30) Das Prinzip, welches hier an-gesprochen wird, entspricht in gewissem Sinne der Funktion eines Westwerks, wie sie von der älteren Westwerksliteratur angenommen wird.
Der ursprüngliche Aufriß und die Innengliederung des Westturms von St. Martin II a sind nur bedingt rekonstruierbar. Die Spannweite der erhaltenen Westqueranlagen in Böhmen
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zeigt, daß hier vor allem die Emporenanlage stark variiert wird. Die St. Ägidius-Kirche in Milevsko (Mühlhausen) ent-
spricht gleichsam dem integrierten Typus, der sich Taf.29/2
jedoch
nicht als Dachreiter, sondern als Querturm über dem Lang-haus fortsetzt. 31) Die Kirche von Kyje (2. V. 13. Jhdt.)
Taf.29/1
besitzt einen Querturm mit Empore, die sich in einem weiten Bogen gegen das Langhaus öffnet. 32) Die Stiegenanlage zur Empore befindet sich innerhalb der Mauerstärke. Dies bedingt eine wesentlich größere Mauerstärke, als man normaler-weise für einen Turm erwarten würde. Auch bei St. Martin IT a fallen die sehr breiten Trockenmauerfundamente der WestanTaf.66/1 lage auf. Dies könnte auf eine ähnliche Anlage mit innerem
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Stiegenaufgang zur Empore verweisen. Die böhmischen Parallelen und lokalhistorische Bezüge legen eine Datierung des Westturms von St. Martin II a in die 1. H. des 12. Jhdts. nahe.
Faßt man die gemeinsamen formalen und typologischen Merk-male der "Niederösterreichischen Gruppe" im 12. Jhdt. zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Die "Normalform" ist der ungegliederte, geschlossene Turm mit liturgischem Hochgeschoß, bei dem die Emporenanlage vorherrscht, Dieser Typus unterscheidet sich klar vom strukturierten Vorhallentypus der "Salzburger Gruppe". Die nächsten formalen Parallelen finden sich in den von Nord- u. Nordwestdeutschland beeinflußten Westturmlandschaften in Böhmen, der Slowakei und Ungarn. In der ersten Jahrhunderthälfte sind es individuelle Typen, die durch die Verbindung von Burg und Kirche (Zwettl und Thunau) oder ihre Stellung innerhalb einer herzoglichen Pfalzanlage (Klosterneuburg) nichts mit den erzbischöflichen Patronatspfarren Salzburgs gemeinsam haben, sondern als Patronatspfarren einer weltlichen Herrschaft aufzufassen sind. Mit Ausnahme der einzigen Klosterkirche von St. Andrä a. d. Traisen und dem Sondertypus von Stillfried a. d. March lassen sich auch in der gesellschaftlichen Stellung der potentiellen Patronatsherren Gemeinsamkeiten aufzeigen.
Nach H. WOLF (1955) 33) entstand um 1100 die ehemalige
Johanneskirche von Zwettl auf dem Berg neben der Burg Taf.84/2 der Kuenringer als Eigenpfarre dieses babenbergischen Ministerialengeschlechts. Ende 11. bis Anfang 12. Jhdt.
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hatten die Knenringer den Raum um Zwettl als Reichslehen erhalten und im Zuge der Besiedlung des Waldviertels er-schlossen. 1132 wird ein Pfarrer Pilgrim von Zwettl, ein Angehöriger der Kuenringer, als Zeuge in einer Urkunde
genannt. Die Gründungsurkunde des Stiftes Zwettl von 1139 spricht vom "predium Zwetil", also von einem Herrensitz. 34) Zu diesem Zeitpunkt war nach W. PONGRATZ und G. SEEBACH (1971) 35) Zwettl der verwaltungsmäßige, politische und kirchliche Mittelpunkt des reichsunmittelbaren "districtus Zwetlenensis", das die Kuenringer vom deutschen König zu Lehen bekommen hatten. Die eigentliche Siedlung Zwettl entstand erst im 3. Drittel des 12. Jhdts. als planmäßige Anlage unter Hadmar II. von Kuenring und erhielt um 1200 das Stadtrecht. 1231 wurden Burg und Stadt nach einer Belagerung durch den Landesfürsten wegen des Kuenringer-Aufstandes zerstört. Vor-her hatten die Kuenringer ihren Sitz bereits teilweise in die Stadt verlegt. Bis 1483 kam das Patronatsrecht zunächst im Erbwege an die Pottendorfer, dann durch Tausch an das Bistum Passau und schließlich an den Landesfürsten. Friedrich III. erhob die Kirche zur Propsteipfarre, die landesfürstliches Lehen blieb. 36)
Zwettl hatte demnach zum Zeitpunkt der Errichtung der Pfarrkirche im 1. V. d. 12. Jhdts. eine hohe zentral-örtliche Funktion im Waldviertel und vereinigte die Aufgaben einer Mutterpfarre und eines herrschaftlichen Verwaltungsbezirkes innerhalb eines großen Rodungsgebietes. Außerdem treffen sich hier fünf wichtige, teilweise schon seit prähistorischer Zeit bestehende Fernstraßen. 37)
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Auf den hohen politischen Rang der Patronatsherren der 38)
Zwettler Pfarrkirche verwies H. WOLFRAM (1981)
der meint, daß an der Wende vom 11. zum 12. Jhdt., d. h. zum Zeitpunkt der Pfarrgründung von Zwettl, die Kuenringer nicht mehr bloß "servites" sondern "ministeriales" waren. Die Kuenringer nehmen damit jenen Führungsrang ein, den vorher die edelfreien "Diener" bis zum Grafen-und Bischofsrang innehatten. Die Pfarrkirche von Zwettl war somit Eigenkirche eines Angehörigen der Oberschicht, der als Ministeriale unmittelbar den Babenbergern unter-stand.
Die Pfarrkirche von Thunau wird 1135 in jener Urkunde genannt, welche anläßlich der Rückgabe von 13 babenbergischen Eigenpfarren an die Diözese ausgestellt wurde. 39) Ein erster Pfarrer wird 1189 erwähnt. Thunau war nach H. WOLF (1955) 40) Sitz einer Urpfarre, die wahrscheinlich noch im 13. Jhdt. mit Eggenburg zu einer Doppelpfarre vereint wurde. Untrennbar sind die Burg von Gars und die Kirche von Thunau zu einer Einheit verbunden. Die Burg von Gars/Thunau aber war Zwischenstation der Babenberger bei der Verlegung der Pfalz von Tulln nach Klosterneuburg. Ob Gars/Thunau tatsächlich Residenz der Babenberger war oder Tulln, ist nach L. AUER (1973) 41) nicht ganz geklärt. Für Gars/Thunau spricht eine handschriftliche Notiz, die davon berichtet, daß bei der Weihe der Burgkapelle von Gars durch den Passauer Bischof Udalrich (1096 - 1121) ein Schrein mit den Gebeinen Markgraf Leopolds II. gefunden worden wäre. 42) Die ältere Deutung dieser Stelle spricht davon, daß in Gars Leopold II. 1096
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gestorben und beigesetzt worden sei. 43) L. AUER (1973) erkannte jedoch richtig, daß in Gars wahrscheinlich bloß Reliquien aus dem Besitz Leopolds II. verwahrt wurden, da die Melker Epitaphien des 13. Jhdts. auch Leopold II. in Melk begraben sein lassen. 44) Trotzdem wird noch unter Albrecht V. um 1429 Gars als "Haupt-schloß im Lande, wo unsere Vorfahren ihre Wohnung gehabt haben" bezeichnet. 45)
Fest steht, daß die Burggrafen von Gars, welche mit den Kuenringern verwandt waren, die Burg bis in die 2. H. des 14. Jhdts. als landesfürstliches Lehen innehatten, wie die Nennung eines "Erkinbertus Gorzensis castellanus" von 1114 belegt. 46) Auch die Pfarrkirche von Thunau stand daher, wie die von Zwettl, zum Zeitpunkt der Errichtung des Westturmes über die Burggrafen von Gars mit den Babenbergern in Verbindung. Als Sitz des Garser Hoheitsgebietes erfüllen Burg und Kirche eine wichtige zentral-örtliche Funktion im südlichen Waldviertel.
Weniger klar sind die Verhältnisse bei der Ruprechtskirche in Wien. Über die kirchenrechtliche Stellung im 12. Jhdt. geben keine direkten Urkunden Auskunft. Im "Fürstenbuch" Jansen Enikels von 1280 wird St. Ruprecht als die älteste Pfarre von Wien genannt. 47) Wolfgang Lazius nimmt 1546 an, St. Ruprecht sei schon um 740 durch Salzburger Missionare gegründet worden, worauf auch das Patrozinium hinweist. 48) Die zweite wichtige Kirche in Wien, St. Peter, wäre seiner Meinung nach erst durch Karl d. Gr. um 800 gegründet worden. Im Tauschvertrag von Mautern
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(1137) hingegen erscheinen die Kirchen Wiens als Filialen der zu Passau gehörigen St. Peters-Kirche. 49) W. BRAUN-EIS und R. PERGER (1977) 50) versuchen das Problem der pfarrlichen Stellung der erst ab dem 11. Jhdt. nachweisbaren Kirchen von St. Peter und St. Ruprecht dadurch zu lösen, daß sie annehmen, die beiden Kirchen hätten das Pfarrecht abwechselnd wahrgenommen. Daß St. Ruprecht wahrscheinlich doch die ältere Pfarre sei, läßt sich vielleicht indirekt aus stadtkernarchäologischen Befunden und der Analyse des Siedlungsbildes erschließen.
Nach A. KLAAR (1971) 51) sind in Wien drei Siedlungszentren festzustellen: das Gebiet um St. Ruprecht mit dem Kienmarkt und dem Berghof, das Gebiet um St. Peter mit dem Witmarkt und die Siedlung um Maria am Gestade.
Aus typologischen Gründen entstand in der 1. H. d. 9. Jhdts. zunächst das Berghofareal als Gassengruppendorf mit wehrhafter Kirchensiedlung, dann, im 1. Drittel d. 11. Jhdts., um die auf römische Zeit zurückgehende Peterskirche das entwickelte Gassengruppendorf um den Dreiecksplatz des Witmarktes und im 11. Jhdt. die weilerartige Kirchensiedlung von Maria am Gestade.
Stadtkernarchäologische Untersuchungen ergaben am Hof und um die Peterskirche, daß hier der Fundanfall an Gebrauchskeramik für das 11. u. 12. Jhdt. ein Maximum er-reicht, während um St. Ruprecht nach dem 11. Jhdt. die Keramik bis zum Beginn des Spätmittelalters fehlt. 52) Auch dies spricht für den älteren Siedlungskern bei
St. Ruprecht. Der Grund dafür, daß bei den Grabungen um
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St. Ruprecht die Keramik nach dem 11. Jhdt. zunächst fehlt, bedeutet natürlich nicht, daß die Siedlung abgekommen war, sondern hat andere Gründe. Um St. Ruprecht befand sich ein Friedhof, der aber archäologisch nicht nachzuweisen war, hingegen urkundlich im 14. Jhdt. genannt wird. In einem Kaufvertrag von 1374 ist nämlich die Rede von einem halben Preßhaus "in cimiterio sancti Ruperti". Weitere Urkunden des 14. u. 15. Jhdts. nennen den Pfarrhof, der in der 2. H. des 19. Jhdts. abgetragen worden ist. Pfarrhof und Friedhof aber gehören zur Ausstattung einer Pfarrkirche. 53) Daß der Friedhof archäologisch nicht nachweisbar ist, führt H. LADENBAUER-OREL (1974) 54) auf eine in Spuren vorhandene Geländeabtragung zurück. Wann entstand dieser Friedhof? Die Antwort darauf dürfte sich aus dem Fehlen der Keramik nach dem 11. Jhdt. ergeben, da auf einem Friedhof natur-gemäß keine Gebrauchskeramik anfällt. Aufgrund dieser archäologischen Beobachtungen und der Siedlungsanalyse läßt sich als Hypothese ableiten, daß um St. Ruprecht nach dem 11. Jhdt. ein Friedhof entstand, der indirekt auf den pfarrlichen Rang der Kirche hinweist.
Dieser wahrscheinlich älteste Siedlungskern Wiens bestand in der 1. H. d. 12. Jhdts. aus einer Pfarrkirche, einem Marktplatz (Kienmarkt) und einem benachbarten Festen Haus, dem Berghof. Damit ist um 1140, dem Zeitpunkt der Errichtung des Westturms von St. Ruprecht, eine "Infrastruktur" von Herrensitz, Markt und Kirche gegeben, die dem alten Siedlungskern des Zentralortes Wien eine ähnliche Stellung einräumt, wie sie schon in Zwettl und Thunau vorlag. Um 1160 wird der Emporenturm von St. Ruprecht um ein Ge-
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schoß erhöht, ein Bauakt, der nicht aus einem funktionalen Grund erklärt werden kann, sondern aus dem symbolischen Gehalt des Westturmmotives an sich. Kurz vorher hatte Heinrich II. Jasomirgott mit der Verlegung der Babenberger Pfalz von Klosterneuburg nach Wien am Hof begonnen. 1156 stiftet er das Schottenkloster mit der quer-riegelartigen Westanlage. Zur Dotation dieser Stiftung übergab Heinrich II. St. Peter, Maria am Gestade und St. Ruprecht an die Schotten. St. Ruprecht muß daher, wie H. WOLF (1951) 55) meint, trotz des Tauschvertrages von Mautern nach 1137 babenbergische Eigenpfarre geblieben sein. H. WOLF (1951) vermutet, daß schon Leopold III. in den Besitz Wiens gekommen war. 56) Als potentielle Patronatsherren für den ersten Westturm-Kirchenbau von St. Ruprecht scheinen somit ebenfalls die Babenberger in Frage zu kommen.
Auch Klosterneuburg/St. Martin war bis 1135 eine der dreizehn babenbergischen Eigenpfarren, bevor sie durch Leopold III. dem Stift übertragen wurde. 1146 schließlich wurde sie gänzlich dem Stift einverleibt. Die Urpfarre von St. Martin ist bis in die 1. H. d. 11. Jhdts. zurückverfolgbar, doch haben die jüngsten Grabungen einen karolingischen Friedhof mit zugehöriger Holzkirche nach-gewiesen. 57) Dies bestätigt die Annahme A. KLAARs (1936)58), daß die Kirchensiedlung bereits im 9. Jhdt. enstanden war. Die Babenberger dürften erst kurz vor der Errichtung der Klosterneuburger Pfalz in den Besitz der bischöflichpassauischen Pfarre gelangt sein. Die Erbauung der Westanlage von St. Martin II a fällt aus typologischen Gründen
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mit ziemlicher Sicherheit in die 1. H. d. 12. Jhdts. Die Kirche spielte eine gewisse Rolle als Pfarrkirche der Pfalz Leopolds III., da die Stifts- und Propsteipfarre erst 1146 beschränkte Pfarrechte erhielt. Als terminus ante q.uem für die Errichtung des Westbaus ist die Verlegung der Pfalz unter Herzog Heinrich II. Jasomirgott nach Wien anzunehmen.
Die frühen vier Westturmkirchen der "Niederösterreichischen Gruppe" von Zwettl, Thunau, St. Ruprecht in Wien und St. Martin in Klosterneuburg haben demnach als historisch und kirchenrechtlich gemeinsame Faktoren die Person des Patronatsherren, der entweder direkt aus dem Geschlecht der Babenberger kommt oder deren ministerialer Oberschicht angehört, bekleiden mindestens den Rang von Pfarrkirchen und sind als Ur- oder Mutterpfarren Mittelpunkt eines größeren kirchlichen Verwaltungsbezirkes. Die zugehörige Siedlung ist als Zentralort Sitz eines Ministerialen od. zeitweiliger Aufenthaltsort der Babenberger und hat eine "Infrastruktur", die mit "Burg, Markt und Kirche" um-schrieben werden kann.
Außerhalb dieser geschlossenen Gruppe nimmt Krems einen ähnlich hohen Rang ein. 995 als "urbs", 1111 als "villa", 1133 als "vicus" und 1136 als "oppidum" angeführt, steht Krems ein wahrscheinlich noch höherer zentralörtlicher Rang zu, als ihn Wien vor der Übernahme durch die Babenberger innehatte. 1158 bestand in der königlichen bzw.
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schon landesfürstlichen Burg eine Münzprägung. 59)
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Die heutige Piaristen- bzw. Frauenbergkirche von Krems geht auf eine Widmung Kaiser Heinrichs II. zurück, der um 1014 eine Königshufe aus dem Reichsbesitz um Krems dem Bischof von Passau übergab, um auf dieser eine Pfarrkirche mit Wirtschaftshof zu gründen. 60) A. KLAAR (1971) 61) beschreibt das so entstandene Siedlungsbild der Oberstadt als Abfolge von "königlicher urbs 'Auf der Burg", Hohem Markt und Passauer Pfarrkirche, eine topographische Situation, die schon in Wien um St. Ruprecht nachzuweisen ist. Seit der 1. H. d. 12. Jhdts. hat sich die Unterstadt von Krems so weit entwickelt, daß hier die Veitskirche errichtet wurde, die 1178 bereits als Pfarre erwähnt wird. 1284 wird die alte Pfarrkirche am Berg als Unsere Frauenkirche bezeichnet. Bis 1784 stand die bischöflich-passauische Lehenspfarre unter landesfürstlicher Vogtei. 62)
Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Turmarchitektur der ehemaligen Stadtpfarrkirche mit den historischen Bezügen kann nicht eindeutig beantwortet werden, denn einerseits gehört die Stadt zum Landesfürsten, d. h. zu den Babenbergern, andererseits hatten hier die Passauer Bischöfe ihren österreichischen Sitz. Eine weitere wichtige Rolle spielte die seit 1136 genannte Bürgerschaft, welche ab 1284 über die nun als Kapelle bezeichnete Marienkirche
(= ehemalige Pfarrkirche) das Patronat innehatte, vor allem aber im Besitz des Turmes war. 63) R. WAGNER-RIEGER (1971)64) verwies darauf, daß der Turm dieser Kirche zugleich kirchliche und städtische Aufgaben zu erfüllen hatte. Damit wäre er in jene Gruppe von, allerdings freistehenden Stadt-
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türmen bei Kirchen einzuordnen, welche sich unter anderem in Villach (Kat. Ktn. Nr. 5) und in Hartberg (Kat. Stmk. Nr. 2) aus der Zeit um 1300 finden. Krems folgt jedoch dem älteren Typus des 12. Jhdts. und ist außerdem baulich als Kirchturm anzusehen. Es wäre möglich, daß der Turm schon vor 1284 und nach der Übertragung der Pfarrechte an die Veitskirche in der Unterstadt als Prestigeobjekt der Stadt-gemeinde aufgeführt wurde.
Ebenfalls nicht mit den Babenbergern in Verbindung steht das Augustiner-Chorherrenstift in St. Andrä a. d. Traisen. Eine Kirche bestand schon Ende 10. Jhdt. und wird um 1136 urkundlich genannt. 65) 1148 übergab der Hochfreie Walter von Traisen bzw. St. Andrä seine Eigenkirche, die Kapelle
St. Andrä, an den Bischof von Passau, um hier ein Augustiner-Chorherrenstift zu errichten. Nach seinem Tod, 1148, voll-streckten die Hochfreien von Lengenbach-Rehberg gegen den Willen des Passauer Bischofs, der die Stiftung dem Eigenkloster St. Georgen a. d. Traisen einverleiben wollte, das Testament und unterstellten das Kloster direkt dem Schutz des Papstes. Sowohl der Stifter als auch die Lengenbacher hatten in der Stiftskirche ihr Erbbegräbnis. 66) Die Stiftskirche war zugleich Pfarrkirche, die Vogteirechte hatten die Lengenbacher inne. Die Gründungssituation ist ähnlich wie in Suben, das ebenfalls aus einer adeligen Stiftung hervorging und dann durch Schenkung an den Salzburger Bischof kam. Die gelungene Einflußnahme der Lengenbacher gegen die Bestrebungen des Passauer Bischofs spricht aber für eine weitaus größere Unabhängigkeit des Klosters von Passau, als dies von einer Vogtei zu erwarten wäre.
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Der letzte Westturmkirchenbau der "Niederösterreichischen Gruppe" des 12. Jhdts. ist die Filialkirche von Limberg. Der Ort liegt an einem alten, doch heute bedeutungslosen Verkehrsweg, dem "Rittsteig", welcher im Mittelalter die wichtigste Verbindung vom Sudeten- in den oberen Donauraum bildete. Für die Siedlungskontinuität seit der Urzeit dürfte dieser Verkehrsweg ausschlaggebend gewesen sein. Im 13. u. 14. Jhdt. kann in Limberg ein ritterliches Geschlecht belegt werden. 67)
Auch die Kirchengeschichte läßt sich lediglich bis ins 13. Jhdt. zurückverfolgen. Nach H. WOLF (1955) 68) war 1267 die Hälfte des Ortes Limberg dem Vikariat Straning zugeteilt, 1282 beurkundet der Abt von Altenburg, daß die Hälfte dem Vikariat Limberg zugeteilt werde. Als Filialen waren sowohl Straning als auch Limberg von der Pfarre Gars abhängig. Limberg nimmt daher innerhalb der "Niederösterreichischen Gruppe" des 12. Jhdts. sowohl in kirchlicher als auch in siedlungsgeographischer Hinsicht den untersten Rang ein. Aus der Sicht der Entwicklung der Westanlage gehört Limberg der anspruchslosesten Stufe an, da die Kirche kein liturgisches Obergeschoß aufzuweisen hat.
Den gemeinsamen Rahmen der historischen, kirchen- und siedlungsgeschichtlichen Voraussetzungen für die "Nieder-österreichische Gruppe" bilden im 12. Jhdt. die Beteiligung oder unmittelbare Einflußnahme der weltlichen Oberschicht, die zentralörtliche Funktion des Kirchenortes und der Sitz einer Ur- oder Mutterpfarre. Besitzrechtlich kommt bei den
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meisten dieser Kirchen eine starke eigenkirchliche Komponente zum Ausdruck. Eine besondere Stellung nimmt Krems ein, da hier nicht die weltliche Oberschicht als Patronatsherr auftreten dürfte, sondern die Bürgerschaft.
Sonderanlagen des 12. Jahrhunderts
Neben dem Typenspektrum der "Salzburger" und der "Nieder-österreichischen Gruppe" mit integriertem Emporenturm, geschlossenem oder offenem Typus und mit der Variante des Westquerbaus, gibt es an der Pfarrkirche von Pürgg (Kat. Stmk. Nr. 3) und in Stillfried a. d. March (Kat. NÖ Nr. 17) zwei Sonderformen, die durch ihre Beziehung zum zugehörigen Kirchenbau hervorgehoben werden.
Die Pfarrkirche von Pürgg hat zuletzt W. DEUER (1982)
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untersucht und als doppelpolige Sonderanlage mit Ost- und Westturm beschrieben. Seinen Angaben nach wurde 1188 mit dem Bau einer dreischiffigen Pfeilerbasilika begonnen, die mit einem Chorturm am Ostende schloß. Am Westende erhebt
sich ein achsialer Vorhallenturm, dessen erstes ObergeTaf.56/3 schoß einen Mauerabsatz zeigt, der sich innerhalb der um Taf. 57 1300 ausgestalteten Katharinenkapelle befindet. Dies deutet darauf hin, daß der ursprüngliche Westturm im 14. Jhdt. umgebaut und erhöht wurde, wobei der romanische Innenaufbau wesentlich verändert wurde. Nach W. DEUER (1982) 70) dürfte durch eine westliche Erweiterung der Seitenschiffe um ein Joch der Turm in den Langhausbau integriert worden sein.
Taf.56/2
Die Darstellung des Stiftermodells in der Johanneskapelle am Berg gibt, bei aller Vorsicht gegenüber solchen Archi-
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