Westturmanlage - Forschungsgeschichte
Die Entwicklung der romanischen Westturmanlage in Österreich
8 FORSCHUNGSGESCHICHTE
Die Frage nach Form, Funktion und Zweck des monumentalen Westturms der Romanik in Österreich ist eng mit der Erstellung einer kunsthistorischen Kirchentypologie verbunden. In einem ersten Ansatz zu einer Systematik von Einzelelementen der romanischen Baukunst in Österreich, die sich auch auf den sog. Dorf- und Kleinkirchenbau bezieht, sieht H. RIEHL (1924)1) den Turm als einen Faktor der Außenerscheinung, der das Aufstreben des Innenraumes auf den Außenraum überträgt. Der Turm "bietet gleichsam die knappste Darstellung des Innenraumgefüges im Außenraum". 2) Als künstlerische 2a) und typologische Vorbilder der westlichen Doppelturmanlage nennt Riehl Hirsau u. später die französischen Westtürme. Das Ostturmpaar, wie es z. B. in Eggenburg auftritt, bezeichnet er als deutschen Typus, während er im salzburgischen Kunstschaffen für die nach oben ansteigende Auflösung der Turmmasse durch Schallfenster italienische Vorbilder heranzieht.3)
Innerhalb des Dorfkirchenbaus stellt Riehl eine Entwicklungsreihe auf, die vom einfachen östl. Turm mit Apsis über eine Erweiterung des Kirchengebäudes nach Westen durch ein Langhaus zur Ostturmkirche führt und schließlich unter dem Einfluß der Hirsauer Reform im Westen einen Eingangsturm anfügt. Als treibende Kraft dieser Entwicklung sieht Riehl nicht nur den gesteigerten Platzbedarf der anwachsenden Gemeinde, sondern auch raumästhetische Überlegungen. So setzt sich im Dorfkirchenbau der Einzelturm gegenüber der Doppelturmanlage 9 nicht aus Gründen der Sparsamkeit durch, sondern es wird das Prinzip des alten Einraumes auf den Außenbau übertragen.4)
Die umfassendste, sowohl stilistische als auch formale und historische Aspekte ins Kalkül ziehende Arbeit über die Entwicklung des westl. Einturmes bringt R. PÜHRINGER (1931). 5) Am Beispiel der Stiftskirche von St. Peter in Salzburg zeigt er eine mögliche Ableitung des romanischen Einzelwestturmes von den karolingischen Westwerken und Westoratorien auf, die wenige Jahre zuvor durch die Arbeiten von W. EFFMANN und G. WEISE bekanntgemacht wurden. 6) In einer auf Baukernanalyse und Deutung der Stiftsgeschichte beruhenden Untersuchung kommt Pühringer zu dem Ergebnis, daß der monumentale Westturm von St. Peter aus der Zeit nach dem Brand von 847 stammt und damit der älteste erhaltene Einzelwestturm in Österreich ist. 7) Damit wäre er - dem damaligen Forschungsstand nach - älter als die Doppelturmanlage des Salzburger Domes, womit die Ableitung der Einzelwesttürme als reduzierte Doppelturmanlagen fraglich wird.
Über das Verhältnis des Einzelwestturmes zum Gesamtproblem monumentalisierter od. bedeutungsmäßig aufgewerteter Westanlagen im allgemeinen geht Pühringer auf die Aufsätze W. Effmanns über Westwerke 8) und G. Weises über mittelrheinische Westoratorien der Karolingerzeit 9) ein und verbindet diese Anlagen mit dem Typus der Westchoranlage. 10) Den wesentlichen Unterschied zwischen Westwerk und Westchor sieht Pühringer in dem Umstand, daß die Westchöre die seit 10 der frühchristl. Kunst übliche Achse Eingang - Chor sperren, während die Westwerke immer eine Durchgangshalle bergen. 11) Weiters wird durch die Doppelpoligkeit der Westchoranlage der frühchristl. Wegbau zum richtungslosen "Zentralbau".
Beide Möglichkeiten der Hervorhebung des Westbaus, Gegenchor und Westwerk, entstanden zu Beginn des 9. Jhdts. und entwickelten sich nach Pühringer in verschiedenen Richtungen weiter. Aus dem Westwerk bildeten sich durch Reduktion zunächst die Westemporen, Doppelturmfassaden und Einzeltürme, die aber in der deutschen Romanik nach dem Zusammenbruch des karolingischen Imperiums vorerst durch die Doppelchoranlage verdrängt wurden. Den entscheidenden Wendepunkt brachten die Reformen von Cluny und Hirsau, die der burgundischen Zweiturmfront zum Durchbruch verhalfen: "Man brauchte doch nur die Westwerke durch das burgundische Doppelturmmotiv zu ersetzen." 12) Nach Pühringer bestehen demnach seit dem 9. Jhdt. ideelle, stilistische und typologische Beziehungen zwischen den monumentalisierten Westbauten, die in ihrer Wertigkeit im Laufe der Zeit eine Verschiebung und Veränderung erfahren, welche schließlich als Endergebnis im 12. Jhdt. den Einzelturm, die Doppelturmfassade und den Westchor in romanischer Form hervorbrachten.
Die Möglichkeit, daß bereits unter den Karolingern Kirchen mit Einzelwesttürmen häufiger vertreten waren, sieht Pühringer durch die Beispiele bei Effmann (Lucius- u. Clemenskirche zu 11 Werden an der Ruhr) untermauert. 13) "Die künftige Forschung hat noch zu klären, woher die einfache Westturmdisposition kommt und ihr genaues Verbreitungsgebiet (Niederrhein?) bzw. die Zusammenhänge zu den Fassadentürmen ist noch ausständig." 14) Anhand der Kunsttopographie stellt schließlich Pühringer eine erste Gruppe von Kirchen mit früh- u. hochmittelalterlichen Einzelwesttürmen zusammen: St. Peter, die Filialkirche St. Michael und die Stiftskirche am Nonnberg in Salzburg; die [Taf 1] Pfarrkirchen von Anthering, Berndorf, Dorfbeueren, Kuchl u. Reichenhall in Salzburg-Land und in Niederösterreich die Gertrudkirche in GarsThunau u. den Turm der Piaristenkirche in Krems. Weiters nimmt Pühringer für den salzburgischen Raum bei den meisten Kirchen Westtürme an, die im Indiculus Arnonis Ecclesien genannt werden. 15)
R. K. DONIN (1937) unternimmt in seinem Beitrag zur romanischen Baukunst in Österreich den Versuch einer detaillierten Kirchentypologie, die bis jetzt die Grundlage aller weiteren Systematiken ist. 16) Vor allem innerhalb der verschiedenen Turmlösungen differenziert er nach Ostturm-, Chorturm- u. Westturmkirchen mit einschiffigem Saalraum. Dieser formalen Gliederung stellt er eine auf Symbolgehalt ausgerichtete Deutung zur Seite. 17) Er greift damit auf die Überlegungen K. GINHARTs 18) zurück, welcher die Wurzeln für den Turmbau in altnordischen Baugesinnungen sieht, und auf einen Aufsatz O. GRUBERs 19) zum Westwerksproblem. Darin wird zum Ausdruck gebracht, daß den Westwerken eine apotropäische Schutzfunktion gegen die im Westen hausenden dunklen Gewalten zukommt. Donin überträgt diese symbolische Auslegung auf den Einzelwestturm und unter 12 mauert seine Hypothese mit dem Hinweis auf die Einheit von Michaelskapellen und Westtürmen. Desgleichen sollen in Westtürmen auch Taufen abgehalten worden sein, wobei hier durch das Taufgelöbnis die Absage an das Böse und den Teufel erfolgte. 20)
Der Grundgedanke, der hinter der Hypothese steht, entspricht quasi einer Deutung des Turmes u. des Westwerks als symbolischen Wehrturm u. als Baptisterium. Beides spiegelt letztlich den Stand der Westwerksforschung von 1936, der aber schon 1950 durch A. FUCHS 21) widerlegt wurde. Dennoch wird in der österreichischen Literatur die Hypothese vom symbolischen Wehrturm bis zur jüngsten Literatur weiterhin kritiklos übernommen, so z. B. durch W. DEUER (1982). 22)
Den zeitlichen Ansatz der ersten Westturmkirchen in Österreich in karolingischer Zeit lehnt Donin gemeinsam mit Ginhart ab. Ginhart rekonstruiert über dem Chorquadrat der karolingischen Pfalzkirche von Karnburg in Kärnten einen Ostturm und bezeichnet so die Chorturmkirche als den älteren Typus, der aus der Turmkirche durch Anfügen eines Langhauses entstand. 23) Erst in der letzten Phase der typologischen Reihe wird der Turm an die Westfront verlegt. Darin spiegelt sich eine linear gesehene Entwicklung von der Turmkirche zur Westturm kirche, die schon Riehl aufstellte. 24)
An neuen Objekten führt Donin an: Mauterndorf, St. Martin [Taf. 1] im Lungau und Zell am See in SalzburgLand; die Pfarrkirchen von Villach, Grades, Höllein, St. Andrä im Lavanttal u. St. Andrä in Seltenheim in Kärnten; die Stiftskirche in Suben/OÖ; 13 die Pfarrkirchen von Pürgg, St. Veit am Vogau, Schladming u. Stallhofen in der Steiermark; in Niederösterreich die Stiftskirche von Kleinmariazell, Petronell, Amstetten u. Friedersbach; die Pfarrkirche von Fließ in Tirol und in Wien die Ruprechtskirche.
W. BUCHOWIECKI (1950) 25) behandelt die Westturmfrage an romanischen Landkirchen in OÖ und verweist mit Nachdruck auf [Taf. 1] die vorromanische Tradition der Ost- u. Westturmkirchen. Erversucht aufgrund von Maueranalysen u. romanischen Architekturteilen in St. Georgen im Attergau, in Schalchen u. in Aspach einen hochmittelalterlichen Westturm nachzuweisen. Zusammen mit Suben ergibt dies eine nur sehr kleine Zahl an romanischen Westturmkirchen in Ob, was aber durch den geringen Bestand an romanischen Kleinkirchen in diesem Bundesland nicht unmittelbar gedeutet werden kann.
Im Gegensatz zu seinem Aufsatz über die romanischen Landkirchen in OÖ greift W. BUCHOWIECKI (1962) 26) in der Zusammenfassung der romanischen Baukunst in Österreich auf die Hypothesen Ginharts u. Donins zurück. Mit beiden Autoren sieht er den Typus der einschiffigen Westturmkirche als den jüngsten Typ in der Entwicklungsreihe Turmkirche - Chorturmkirche - Chorturmkirche mit Apsis - Westturmkirche. Pühringers Frühdatierung von St. Peter in Salzburg lehnt er mit der Begründung ab, die ältesten gesicherten Westturmkirchen wären in St. Georgen im Attergau (1114?), GarsThunau (um 1140) u. St. Ruprecht in Wien (1130 - 1140), d. h. erst ab dem 12. Jhdt. nachweisbar. 27) Der Einzelwestturm ist in der Typologie Buchowieckis nicht als Reduktion der Doppelturmanlage anzusehen,14 sondern als das Ergebnis der Verlagerung des Ostturmes an die Westfront. Der "Normaltyp" der Pfarrkirche mit Turm des 11. u. 12. Jhdts. in Österreich ist nach Buchowiecki die Ostturmkirche. 28)
R. FEUCHTMÜLLER (1964, 1972) 29) schließt sich der symbolischen Deutung des Westturms als Bollwerk gegen das Böse an und geht über diesen ideellen Inhalt hinaus, indem er den Turm im allgemeinen als Wehrturm interpretiert. Die Wurzel dazu sieht er im Berchfrit, der im 12. Jhdt. in verstärktem Maße beim Ausbau von Turmhügel- u. Höhenburgen auftritt. Er verweist auf den Urtyp der Turmburg, in welche die Burgkapelle integriert wurde, und bringt als Beispiele den Berchfrit von Friesach, die Kapelle der Burg Starhemberg in NÖ und den Bregenzer Stadtturm mit der Martinskapelle. 30)
A. KLAAR (1964) 31) setzt sich in seiner Kirchenbaukarte [Taf. 1] der romanischen Kunst in Österreich mit einer Sondergruppe von Westtürmen, den sog. Oratoriumstürmen, auseinander. Diese hatten im ersten Geschoß einen Betraum eingerichtet, der durch rundbogige Öffnungen mit dem Langhaus verbunden war. Im Barock wurden diese Räume funktionslos, man verstellte die Öffnungen gegen das Langhaus mit der Orgel. Diese Sonderform leitet Klaar von den Doppelturmoratorien ab u. nennt als Beispiele die Kirchen von St. Andrä an der Traisen, GarsThunau und die ehem. Propsteikirche in Zwettl. Wesentlich dabei ist, daß hier nicht symbolischspekulative Vorbilder wie bei Donin herangezogen werden (Michaelskapelle od. Taufraum im Turm), sondern die konkrete Funktion des Westturms als Oratorium, 15 Bet- od. Andachtsraum.
R. WAGNER-RIEGER (1976) bemerkt zum Problem der romanischen Einzelwesttürme an Pfarrkirchen, daß diese in Österreich im Verhältnis zu den Chorturmkirchen eher selten sind, und hebt den möglichen Wehrzweck dieses Bauteils hervor. 32) Ein weiteres Moment ist die Funktion des Turmes als Hoheitsmotiv und monumentales Mal im Kirchenbau. 33) Auf diese politischrepräsentative Seite hat R. WAGNER-RIEGER (1971) schon in bezug auf den Stadt- u. Kirchturm der Piaristenkirche in Krems hingewiesen. 34) Allgemein ist ihrer Ansicht nach das Vorbild für den repräsentativen, monumentalen Einzelwestturm die Doppelturmanlage des Salzburger Domes, von der auch die weiteren romanischen Doppelturmfassaden in Österreich abzuleiten sind.
M. SCHWARZ (1979) 35) bringt vor allem eine auf der Basis der österr. Kunsttopographie und den DehioHandbüchern [Taf . 1] basierende Bereicherung des Denkmalbestandes an romanischen Westturmkirchen in NÖ. Zu den bisher genannten Kirchenbauten kommen die Pfarrkirchen von Drösing, Hofarnsdorf, Hohenwart, Limberg, Schöngrabern (?), Sieghartskirchen u. Zellerndorf, sowie die beiden Filialkirchen von Königsbrunn u. Weinzierl in Krems.
Zuletzt hat W. DEUER (1982) 36) für die Steiermark zum Problem der Westturmkirchen Stellung genommen. Er sieht in der Monumentalisierung der Westpartie einer Kirche, sei es durch westwerkartige Bauten od. durch doppelpolige Anlagen wie in Pürgg u. Hartberg, besondere Hoheitszeichen bei landesfürstlichen 16 "Paradebauten". 37) Überhaupt ist für ihn die Wahl der Turmform nicht rein funktional bedingt, sondern stets mit einer politischen Motivation verbunden. Die Bevorzugung des Ostturms gegenüber anderen Lösungen, wie z. B. Doppelturmanlagen und Westturmanlagen, ist Ausdruck "einer neuen Geisteshaltung, eines Bewußtseins und Selbstverständnisses, das in der historischen Entwicklung seit dem Ende des Investiturstreites klar zu erfassen ist". 38)
Doppelpolige Anlagen und teilweise auch der Westturm sind nach Deuer "gleichsam eine landesfürstliche Antwort auf die Betonung der sakralen Bauteile der Kirche". 39) Die treibende Kraft scheint demnach die gleiche zu sein, die allgemein für die Sonderstellung der deutschen Kaiserdome in Anspruch genommen wird: die Gegenüberstellung von profankaiserlicher und sakralpäpstlicher Macht.
Ein weiteres Moment, vor allem bei der künstlerischen Ausgestaltung, ist "eine Art architektonischer Wettstreit" zwischen einzelnen Orten, die sich in bezug auf ihre Westtürme an den Pfarrkirchen zu übertreffen trachten. Diese Motivation erinnert an Ideen, wie sie im frühen 12. Jhdt. bei den bolognesischen Geschlechtertürmen Pate standen. 40)
In die vorwiegend ostturmorientierten Kunstlandschaft der Steiermark dringt nach Deuer das Westturmmotiv ab ca. 1220 über Salzburg ein und bildet, von Admont ausgehend, eine auf das Ennstal beschränkte Westturmlandschaft aus. Der zweite Vorstoß der Westturmanlage erfolgt durch die Babenberger 17 in Hartberg und Pürgg. Vom 12. Jhdt. an verliert sodann der Ostturm zunehmend an Attraktivität und wird durch den Westturm ersetzt. Als Gründe für diese Entwicklung führt Deuer an: "Sei es, daß der Symbolcharakter verloren ging, neue Inhalte eine neue 'Mode' bewirkten od. kultischpraktische Gründe ausschlaggebend waren." 41) Den "Symbolcharakter" übernimmt Deuer an anderer Stelle von den bereits erwähnten Autoren Donin, Ginhart, Buchowiecki und Feuchtmüller. Auch in der Datierung der Westturmkirche als spätesten Typus innerhalb der romanischen Kirchentypologie folgt Deuer der älteren Literatur, obwohl er die vorromanische Tradition englischer Westturmkirchen, wie z. B. Earls Barton (10./11. Jhdt.) u. Monkwearmouth (7. Jhdt.), anführt. 42)
Bezüglich der Gesamtentwicklung der Westturmanlage in der Steiermark meint Deuer, daß die Salzburger Doppelturmanlage des Domes nur geringe Vorbildwirkung hatte, und der spätromanische Einzelwestturm "bei geänderten Stilformen (Fenster und Wölbungen) um 1300 nahtlos in den gotischen Westturm übergeht". 43)
An Pfarrkirchen mit romanischem Westturm führt er an: Altenmarkt bei Fürstenfeld, Hartberg, Rottenmann, St. Lorenzen im Paltental, St. Marein bei Knittelfeld, Pürgg und Trofaiach.
Durch archäologische Untersuchungen konnten in der Martinskirche von Klosterneuburg durch J. W. NEUGEBAUER (1979) 44) die Fundamente eines westl. Querbaus ergraben werden, der meiner Meinung nach als Westanlage zu interpretieren ist. [Taf. 1] Seit 1980 kann auch der Nachweis einer Westturmanlage an 18 der Pfarrkirche von Stillfried erbracht werden. 45)
Aus der Forschungslage zum Problem der Westturmkirchen in Österreich lassen sich drei Hypothesen über Form, Funktion und Zweck erkennen:
1. Der Westturm hat eine apotropäisch—symbolische Wehrfunktion und steht ideell mit den karolingischen Westwerken in Verbindung (GINHART 1934, DONIN 1937, BUCHOWIECKI 1962, FEUCHTMÜLLER 1964 u. 1972, DEUER 1982).
2. Der Westturm zeigt reelle Wehrfunktion und ist mit der Funktion des Berchfrits bei Burgen zu vergleichen (FEUCHTMÜLLER 1964 u. 1972, WAGNER-RIEGER 1976).
3. Der Westturm hat eine stark durch den Auftraggeber und seine politischprogrammatische Einstellung bedingte Komponente als Hoheitsmotiv zum Inhalt (WAGNER-RIEGER 1971 u. 1976, DEUER 1982).
Während die erste Hypothese direkt vom Stand der Westwerksforschung abhängig ist und heute als überholt angesehen werden kann, muß die zweite Hypothese aus der Sicht der Wehrkirchenforschung abgelehnt werden. Die dritte Hypothese ist im folgenden auf ihre Haltbarkeit zu untersuchen.
Die formale u. stilistische Herleitung der Westturmkirche ist über den Ansatz Pühringers nicht hinausgekommen, wobei nicht unwesentlich die Verlagerung des Forschungsschwerpunktes auf die symbolische Auslegung des Typs schuld hat.19 R. PÜHRINGER läßt durch seine frühe Datierung des Westturms von St. Peter in Salzburg die Geschichte des Westturmtypus innerhalb des heutigen Österreich in karolingischer Zeit beginnen. 46) Dem wurde bisher nur durch K. GINHART, R. K. DONIN und W. BUCHOWIECKI widersprochen, ohne daß dabei formalstilistische Argumente angeführt wurden. 47) Seitens der Archäologie konnte durch die Kirchengrabungen in St. Peter in Salzburg unter der Leitung von ST. KARWIESE keine Klärung der Zeitstellung des Turmes erreicht werden. 48) KARWIESEs Datierung beruht auf einer Rekonstruktion, die archäologisch nicht unmittelbar gesichert ist. Die Frage nach dem Beginn, der Form und dem Zweck der Westturmfassade in Österreich ist nur über die Entwicklungsgeschichte und die Vorstufen der karolingischen Westanlage im Gesamtbild zu lösen.
VORSTUFEN DER KAROLINGISCHEN WESTANLAGE - FRÜHE KIRCHTÜRME
294F O R S C H U N G S G E S C H I C H T E
1) H. RIEHL (1924): Baukunst in Österreich I, Wien 1924; insb. S. 49ff
2) H. RIEHL (1924): S. 60
2a) "Typologie" bezieht sich hier nicht auf den kunsthist. Begriff (Erklärung des Alten durch das Neue Testament), sondern auf den archäologischen (Reihung typischer Elemente eines gegenständl. Formungsprozesses). "Typolog. Vorbilder" sind Vorstufen eines (Bau-) Typus.
3) H. RIEHL (1924): S. 77
4) H. RIEHL (1924): S. 78
5) R. PÜHRINGER (1931): Denkmäler der früh- u. hochromanischen Baukunst in Österreich, Wien - Leipzig 1931
6) W. EFFMANN (1899): Die karolingischottonischen Bauten zu Werden a. d. Ruhr, Bd. 1, Straßburg 1899
W. EFFMANN (1912):Centula, St. Riquier, eine Untersuchung zur Geschichte der kirchlichen Baukunst in der Karolingerzeit, München 1912
W. EFFMANN (1929): Die Kirche der Abtei Corvey, Paderborn 1929
G. WEISE (1916): Untersuchungen zur Geschichte der Architektur und Plastik des frühen Mittelalters, Leipzig - Berlin 1916, S. 49ff: Ein karolingischer Westbautypus der mittelrheinischen Gegenden
7) R. PÜHRINGER (1931): S. 57; Pühringer hält den Turm von St. Peter in Salzburg für einen Restaurierungsbau von 847.
8) R. PÜHRINGER (1931): S. 55ff; W. EFFMANN (1899, 1912, 1929)
9) R. PÜHRINGER (1931): S. 56; G. WEISE (1916): S. 78ff: Die Kirche auf dem Petersberg bei Fulda; S. 49ff
295 10) R. PÜHRINGER (1931): S. 55
11) R. PÜHRINGER (1931): S. 55; zum Begriff des Wegebaus vgl.:
E. LEHMANN (1938): Der frühe deutsche Kirchenbau, die Entwicklung seiner Raumanordnung bis 1080, Berlin 1938
12) R. PÜHRINGER (1931): S. 55
13) R. PÜHRINGER (1931): S. 57; W. EFFMANN (1899)
14) R. PÜHRINGER (1931): S. 57
15) R. PÜHRINGER (1931): S. 54
16) R. K. DONIN (1937): Die romanische Baukunst in Österreich, in: Die bildende Kunst in Österreich, hsg. v. K. Ginhart, Bd. 2, Baden b. Wien 1937, S. 57ff
17) R. K. DONIN (1937): S. 60f
18) K. GINHART (1934): Die St. Peterskirche in Karnburg, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege VIII, 1934, S. 85ff
19) O. GRUBER (1936): Das Westwerk, Symbol und Baugestaltung germanischen Christentums, in: Zschr. d. Dtsch. Vereines f. Kunstwissenschaft III, 1936, S. 149f
20) R. K. DONIN (1937): S. 60
21) A. FUCHS (1950): Entstehung und Zweckbestimmung der Westwerke, in: Westfälische Zeitschrift 100, 1950, S. 227ff. A. Fuchs nimmt hier Stellung gegen 0. GRUBER (1936) und 0. GRUBER (1940): Westbauten als Symbole des kämpfenden deutschen Christentums, in: Kunst und Kirche XVII, 1940, S. 53ff
22) W. DEUER (1982): S. 111
23) R. K. DONIN (1937): S. 61; K. GINHART (1934)
24) H. RIEHL (1924): S. 78; eine ähnliche lineare Entwicklung unter Einbeziehung des Holzbaus als Zwischenstufe für frühe insulare Kirchen sieht H. BRAUN (1951): An Introduction to English Mediaeval Architecture, London 1951. Wie E. A. FISHER (1959): An Introduction to AngloSaxon Architecture and Sculpture, London 1959, S. 58, meint, konnte diese Entwicklung,wie auch die nach Vorstellung von H. RIEHL (1924), bisher nirgends nachgewiesen werden. Die Realität ergrabener Grundrisse spricht jedenfalls gegen eine lineare Typenentwicklung.
25) W.BUCHOWIECKI (1950): Romanische Landkirchen in Oberösterreich, in: Oberösterr. Heimatbl. IV, 1950, S. 97ff
26) W.BUCHOWIECKI (1962): Die Baukunst, in: P. BALDASS, W. BUCHOWIECKI, W. MRAZEK (1962): Romanische Kunst in Österreich, Wien - Hannover - Bern 1962, S. 5ff
27) W.BUCHOWIECKI (1962): S. 6, 10
296 28) W. BUCHOWIECKI (1962): S. 10
29) R. FEUCHTMÜLLER (1964): Die Sakralbauten, in: Romanische Kunst in Österreich, Ausstellungskatalog, Krems a. d. Donau 1964, S. 228ff
R. FEUCHTMÜLLER (1972): Kunst in Österreich, 1. Bd.: Die Romanik, Wien 1972, S. 13ff
30) R. FEUCHTMÜLLER (1964): S. 235; R. FEUCHTMÜLLER (1972): S. 35f
31) A. KLAAR (1964): Die Kirchenbaukarte, in: Romanische Kunst in Österreich, Ausstellungskatalog Krems a. d. Donau 1964, S. 272ff
32) R. WAGNER-RIEGER (1976): Architektur, in: 1000 Jahre Babenberger in Österreich, Kat. d. NÖLM NF 66, Wien 1976, S. 141ff, insbes. S. 146
33) R. WAGNER-RIEGER (1976): S. 146
34) R. WAGNER-RIEGER (1971): Architektur, in: 1000 Jahre Kunst in Krems, Ausstellungskatalog Krems a. d. Donau 1971, S. 88ff
35) M. SCHWARZ (1979): Romanische Architektur in Niederösterreich, Wiss. Schriftenreihe Niederösterreich 17/18, Wien - St. Pölten 1979, insbes.:Romanische Kirchentypologie S. 10ff
36) W. DEUER (1982): S. 51, 58, 66f, 107, 110f, 112ff, 145ff
37) W. DEUER (1982): S. 51
38) W. DEUER (1982): S. 66
39) W. DEUER (1982): S. 66
40) W. DEUER (1982): S. 67
41) W. DEUER (1982): S. 107
42) W. DEUER (1982): S. 112
43) W. DEUER (1982): S. 114
44) J. W. NEUGEBAUER (1979): Die Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen von 1977 in Klosterneuburg - St. Martin, in: Jb. d. Stiftes Klosterneuburg NF 11, Graz 1979, S. 127ff
45) R. KOCH (1980, 1982, 1985)
46) R. PÜHRINGER (1931): S. 53, 57
47) Zum Problem der linearen Typenentwicklung siehe Anm. 24)
48) ST. KARWIESE (1982 a): Erster vorläufiger Gesamtbericht über die Ausgrabungen zu St. Peter in Salzburg, in: Festschrift Erzabtei St. Peter in Salzburg (582 - 1982), Salzburg 1982, S. 404ff, insbes. S. 439: "Turmanlage bleibt wegen der begrenzten Grabung problematisch"
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