Westturmanlage - Vorwort

Die Entwicklung der romanischen Westturmanlage in Österreich


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Im Jahre 1979 entstand auf Anregung von Frau Univ.-Prof. Renate WAGNER-RIEGER die Idee der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Kunstgeschichte und Mittelalterarchäologie. Sie verwies mich dabei an Herrn Univ.-Prof. Fritz FELGENHAUER vom Institut für Ur- und Frühgeschichte,
da sie wollte, daß ein Kunsthistoriker nicht nur theoretisch, sondern vor allem auch praktisch auf dem Gebiet der Mittelalterarchäologie ausgebildet werden sollte. Herr Univ.-Prof. FELGENHAUER war sofort bereit, dieses interessante Projekt zu unterstützen, da er immer wieder auf den fächerübergreifenden Charakter der Mittelalterarchäologie verweist.

Durch Herrn Univ.-Prof. FELGENHAUER erhielt ich die Gelegenheit, im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojektes Stillfried 1) von 1980 bis 1984 archäologisch-kunsthistorische Untersuchungen an der Georgskirche 2) durchzuführen, wofür Herr Univ.-Prof. FELGENHAUER die finanziellen und personellen Mittel in großzügigster Weise zur Verfügung stellte.

Nach dem Ableben von Frau Univ.-Prof. WAGNER-RIEGER förderte Herr Univ.-Prof. Hermann FILLITZ die Weiterführung des Projektes "Mittelalterarchäologie", was mich ermutigte, eine Dissertation, welche aus den Ergebnissen der Grabungen in Stillfried erwachsen war, zu wählen.
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Die Untersuchungen an der Pfarrkirche von Stillfried 3) ergaben einen romanischen Vorgängerbau des 12. Jhdts., welcher als Westabschluß einen monumentalen Fassadenturm über einem kryptenartigen Tiefraum besaß. Eine derartig komplexe Anlage ist im Pfarrkirchenbereich sehr selten. Romanische Einzelwesttürme sind in der vorwiegend ostturmorientierten Kunstlandschaft Österreichs eine Ausnahme. 4) Die Forschungslage zum Problem der sog. Westturmkirchen erweist sich im Verhältnis zu anderen Kirchentypen mit monumentalem Turm, wie z. B. Chorturm-, Ostturm- und Doppelturmkirchen, als kaum fortgeschritten. 5)

Ein erster Überblick des Denkmälerbestandes an romanischen Westturmkirchen in Österreich zeigte, daß kunstgeographisch zwei Zentren vorliegen: das Einflußgebiet des Erzbistums Salzburg und das Herzogtum Österreich zur Zeit der Babenberger, das heutige Niederösterreich. 6) Mit den Babenbergern oder deren hohen Ministerialen stehen auch meist die Patronate der niederösterreichischen Westturmkirchen in Verbindung. Schließlich scheinen die Westturmkirchen nur an Orten mit höher entwickelter Siedlungsform, sog. "Zentralorten'; errichtet worden zu sein. 7)

Im Rahmen dieser Dissertation sollen daher die Entstehung und Entwicklung des romanischen Einzelwestturms in Österreich untersucht werden, wobei die siedlungs-, besitz-
und kirchengeschichtlichen Bezüge Berücksichtigung finden.
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Da in einigen Westturmkirchen Kapellen oder Emporen zu finden sind, wird die Funktion und Bedeutung dieser Ein-bauten näher untersucht. Es zeigt sich, daß die Vorformen des Einzelwestturms mit Einbauten bis auf karolingische Zeit zurückgehen.

Stillfried als Ausgangspunkt dieser Untersuchung zur Entwicklung der romanischen Westturmanlage in Österreich wird als Sonderanlage in seiner Stellung zum Gesamtproblem berücksichtigt. Die Dokumentation der archäologisch-kunsthistorischen Ergebnisse findet sich in einem an-gefügten Exkurs.

Wien, im Juli 1985
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A N M E R K U N G E N
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 F. FELGENHAUER (1985): Erforschung des Lebens- und Kulturraumes Stillfried a. d. March von der Eiszeit bis zur Gegenwart - 15 Jahre interdisziplinäres Forschungsprojekt, in: Ausgrabungen in Stillfried - Stratigraphie von der Eiszeit bis zur Gegenwart, Ausstellungskat. d. NÖLM NF 158, Wien 1985, S. 7ff
 R. KOCH (1980): Fundbericht zur Kirchengrabung in Stillfried I, in: FIST Bd. 4, Wien 1980, S. 189f
R. KOCH (1982): Fundbericht zur Kirchengrabung in Stillfried II, in: FIST Bd. 5, Wien 1982, S. 121f
R. KOCH (1985): Archäologisch-kunsthistorische Untersuchungen an der Pfarrkirche von Stillfried a. d. March, in: Ausstellungskat. d. NÖLM NF 158, Wien 1985, S. 63ff
 R. KOCH (1980, 1982); Grabungsdokumentation und Funde am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien, Forschungsprojekt Stillfried
 Zur Verbreitung der Kirchentypen vgl.:
E. BACHMANN (1941): Kunstlandschaften im rom. Kleinkirchenbau Deutschlands, in: Zschr. d. Dtsch. Vereines f. Kunstwissenschaft 8, 1941, S. 159ff
A. KLAAR (1964): Kirchenbaukarte, in: Romanische Kunst in Österreich, Ausstellungskatalog Krems a. Donau 1964, S. 272ff
 Zur Problematik der Kirchenbautypen und ihrer Entwicklung in Österreich vgl.: W. DEUER (1982): Der rom. Kirchenbau in der Steiermark, phil. Diss., Univ. Wien 1982; zur Westturmforschung insbes. S. 111 mit Hinweis auf das Zurückbleiben der Motivforschung zum Westturm gegenüber der Ostturmforschung.
 Die Begrenzung auf das politische Gebiet Österreichs nach 1945 er-gab sich zunächst aus praktischen Gründen. Die Verteilung der rom. Westturmkirchen auf Gebiete, die im 12. bzw. 13. Jhdt. noch nicht zum "Kernland Österreich" gehörten, rechtfertigt jedoch diese gebietsmäßige Einschränkung. Zu beachten ist lediglich, daß Tirol und Vorarlberg aus Sicht des erhaltenen Denkmälerbestandes im Hochmittelalter westturmlos waren und daher hier vernachlässigt werden können. Teile des heutigen Burgenlandes waren im 13. Jhdt. Bestandteil des magyarischen Einflußgebietes. Salzburg u. Oberösterreich zählten zum bayerischen Gebiet, der Einfluß Salzburgs reichte jedoch punktuell bis in den ungarischen Raum. Vgl. dazu: H. SEDLMAYR (1968): Salzburg und die Kunst der bayerischen Kirchenprovinz im Früh- und Hochmittelalter, in: Südostdeutsches Archiv XI, 1968, S. 124ff
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7) Als Zentralorte werden hier Orte höherer Ordnung mit regionalen Verwaltungsfunktionen, eigener Gerichtsbarkeit oder pfarrliche Zentren verstanden, d. h. Städte, Märkte, Ur- u. Mutterpfarren, Vikariate etc. Einführung in den Problemkreis bei:
H. BOBEK (1966): Aspekte der zentralörtlichen Gliederung Österreichs, in: Berichte zur Raumforschung und Raumplanung II, 1966
K. GUSTAFSON (1973): Grundlagen zur Zentralitätsbestimmung, in: Veröffentlichungen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung 66, 1973
Zur Zentralortfunktion Stillfrieds:
M. MITTERAUER (1973): Probleme der Zentralortfunktion Stillfrieds im Mittelalter, in: Mitt. d. Österr. Arbeitsgem. f. Ur- u. Frühgeschichte Bd. 24/2, 1973, S. 91ff
P. CSENDES (1973): Die Geschichte des Stillfrieder Raumes, in: Mitt.
d. Österr. Arbeitsgem. f. Ur- u. Frühgeschichte Bd. 24/2, 1973, S. 88ff
P. CSENDES (1979): Stadt und Grenze. Beobachtungen zur hochmittelalterlichen Entwicklung im Osten Österreichs, in: Veröff. d. Verbandes Österr. Geschichtsvereine Bd. 22, 1979, S. 106ff
H. WOLF (1955): Erläuterungen zum Hist. Atlas d. Österr. Alpenländer, II. Abt., 6. Teil: Niederösterreich, Wien 1955



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