Wetzrillen an altägyptischen Tempelanlagen
Wetzrillen an altägyptischen Tempelanlagen
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Wetzrillen
Was sind Wetzrillen?
Wetzrillen, auch Schleifrillen, Wetzmulden, Schleifspuren oder Teufelskrallen genannt, sind mehr oder weniger tief mit einem spitzen Gegenstand eingegrabene Kratzspuren an Gebäudeteilen. Man findet sie im europäischen Bereich meist an den mittelalterlichen Bauteilen von Kirchen, aber auch an bedeutenden Plätzen wie z. B. an Kirchhofmauern, Gerichtsgebäuden oder Rechtsaltertümern (Pranger, Grenzsteine etc.). Dabei macht es anscheinend keinen Unterschied, ob die Schleifrillen in Steinbauten oder in den Ziegelbauten der deutschen oder westpannonischen Backsteingebiete eingegraben werden.
Vereinzelt können solche Schleifrillen im Zusammenhang mit vorgeschichtlichen Denkmälern (Menhire u. ä.) nachgewiesen werden. Wetzrillen treten manchmal gemeinsam mit sogenannten Näpfchen, das sind kleine bis 2 cm große, seichte kreisförmige Einbohrungen auf. Da die Schleifrillen in der Großzahl an romanischen oder gotischen Kirchen angebracht wurden - meist an Türpfeilern oder am Presbyterium - hat zu vielerlei, allzuoft phantastischen Interpretationen geführt. Man sieht in ihnen fast ausschließlich Spuren mittelalterlicher "kultischer" Handlungen: Hochzeitsbräuche, Feuerbohren für das Ewige Licht, symbolisches "Entschärfen" von Waffe oder "magisches Aufladen" von Werkzeugen. Andere sehen darin den Niederschlag ebenfalls mittelalterlicher Volkskultur bzw. Volksmedizin (Gewinnung von Steinmehl). Die kultische Bedeutung soll "im Laufe der Jahrhunderte" in Vergessenheit geraten sein, was sich u. a. in den Sagen niederschlägt: Die Schleifrillen werden dort als Teufelskrallen bezeichnet. Der Teufel hätte seine Wut am Kirchengebäude ausgetobt - vor allem bei seinem fruchtlosen Versuch, in den geweihten Ort einzudringen (daher findet man die "Teufelskrallen" immer nur außen an den Türpfosten, nie im Innenraum).
Eine seriöse Auseinandersetzung mit der Frage nach Alter und Zweck der Wetzrillen findet jedoch kaum statt. In heutiger Zeit haben sich vermehrt "Esoteriker und andere Kultis" des Themas angenommen, nachdem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts es nicht an Interpretationen fehlte, in den Wetzrillen das Nachleben einer viel älteren - dem damaligen Zeitgeist entsprechen - "nordisch-germanischen" Kulttradition zu behaupten.
All diese Überlegungen beziehen sich auf den europäischen Raum. In Ägypten gibt es ebenfalls Wetzrillen und Scheifmulden. Das ist schon länger bekannt, wird aber in der europäischen "Wetzrillenforschung" nur nebenbei erwähnt, ohne daß daraus irgendwelche Schlüsse für die Inerpretation von Alter und Zeck der europäischen Exemplare gezogen würde. Schon bei einem Kurzbesuch einiger Tempelanlagen in Edfu, Luxor, Karnak und Assuan - also auf den üblichen hastig durchgezogenen touristischen "Muß-Routen" - kann der eilige Besucher eine Unzahl von verschiedenster Wetzrillentypen vorfinden. Man könnte fast der Ansicht sein, Wetzrillen wären ein fixer Bestandteil der antiken ägyptischen Sakralarchitektur. Gleichzeitig nähren diese Funde aber den Zweifel an der Richtigkeit der bisherigen Datierung und Zweckbestimmung der europäischen Wetzrillen, denn man wird nicht sehr fehlgehen, wenn man Phänomene gleicher Form und Machart, auch wenn sie an weit entfernten Orten auftreten, zeitlich oder intentionell in Verbindung setzt. Die Übereinstimmung der Typen und Formen, ihre Herstellungsweise und ihre topographische Lage in Bezug auf den Gebäudekomplex sind nämlich in Ägypten und etwa in Deutschland oder Österreich durchaus vergleichbar: vorwiegend an Sakralbauten, meist im Eingangs- oder Durchgangsbereich und in Bodennähe bis Körperhöhe. Wo Wetzrillen sich weit oberhalb dieser Zone befinden, kann in der Regel ein ehemaliges Begehungsniveau rekonstruiert werden.
Bilder zur Anfrage im Ägyptologie-Forum:
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Bild 1: Edfu - Horustempel.
Gibt es einen Übersichtsplan, der diese Gebäude vor dem 1. Pylon zeigt, wie heißen die Gebäude (A und B) und welchen Zweck hatten sie?
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Bild 2: Edfu - Ansichten aus der "Description de l'Egypte ..." 1809
Wann wurden die noch in der napoleonischen Description abgebildeten enormen Sandmassen und die Bauten aus islamischer (?) Zeit entfernt?
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Bild 3: Luxor, erster Innenhof, Moschee
Aus welcher Zeit stammt die heute noch vom ersten Hof aus zu sehende Fassade der Moschee des Abu al Haggag? War deren "Aussichts-Balkon", von dem man heute in den 1. Hof sehen kann, ursprünglich ein Zugang in die Moschee bzw. kann man sagen, daß der Sand in islamischer und napoleonischer Zeit bis in diese Höhe reichte?
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Bild 4: Luxor, erster Innenhof, Westseite
War die rechts an die Moschee anschließende Kolonnadenreihe mit den 3 Standfiguren (Bild 4) ebenfalls ein Tempel oder eine offene Halle?
Stand 29. 12. 2005, 17:40
Materialsammlung: Luxor
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Luxor, Blick vom ersten Hof auf die Rückseite des ersten Pylons, davor Hatschepsut-Tempel.
2 Gruppen von Schleifrillen:
A: über dem Hapschetsut-Tempel an der Pylonenwand. Seit der Abgrabung der Sand- und Schuttschichten bzw. der Verbauung aus islamischer Zeit in extremer Höhenlage
B: an der Eingangswand in den Hatschepsut-Tempel links neben dem mittleren Portal in "Normallage", d. h. etwa in Brusthöhe
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luxor1b.jpgDetail der oberen Schleifspuren bei A. Sie sind in der Regel eher muldenförmig und oval. Unter den Schleifmulden befindet sich eine Reihe von Pfostenlöchern (primäre oder sekundäre Rüstlöcher?)
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luxor3a.jpgDetail der unteren Schleifspuren bei B. Eine auffallend breite, ovale und innen sorgfältig geglättete Schleifmulde im linken oberen Quader. Der Quader zeigt schmale Hiebrillen (Werkzeugspur), teiweise ist der Quadrspiegel (rechts oben) geglättet. Bemerkenswert ist die Randverzierung der Schleifmulde durch radiale Kerbspuren, die sonst bei Schleifrillen unüblich ist. (Vulvamotiv???)
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Detail der rechten Hälfte des unteren Quaders bei B. Schmale, kurze Schleifrillen unterschiedlicher Tiefe und Länge. Mnestens zweiphasige Oberflächenbearbeitung des Quaderspiegels: kurze Meißelhiebe wie im darüberliegenden Quader und nach rechts zunehmend aufgespitze Oberfläche.
Vereinzelt eingeritzte Buchstaben (EI), darunter - am Foto kaum erkennbar - weitere Schriftzeichen (griechisch?)
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Luxor, erster Hof, Kolonnaden aus der Zeit Ramses II.
luxor4a.jpgDetail der linken äußeren Säule mit zwei höhenmäßig unterschiedlichen Reihen von Ritzscharten. Auch die übrigen Säulen weisen diese Zweiteilung der Scharten auf.
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luxor4a3.jpgDetail der Scharten. Die oberen Scharten (links) sind sehr langgezogen und verbreitern bzw. vertiefen sich nach unten. Daneben gibt es auch sehr flache, verwaschene Formen (Winderosion?)
Die unteren Scharten (rechts) sind teilweise flach und verwaschen, teilweise sehr kurz und muldenförmig stark eingetieft. Letztere befinden sich meist unmittelbar über der unteren Lagerfuge.
[Index: Notizen 2006] [Einführung und Materialsammlung Luxor] [Materialsammlung Edfu und Karnak] [Philae]
5.01.2006
Wetzrillen an altägyptischen Tempelanlagen
Materialsammlung: Edfu und Karnak
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edfu1.jpgEdfu, Blick auf den ersten Pylon, davor Reste eines weiteren Pylons (? B) und die Ruinen des Mammisi.
An den ehemaligen Innenwänden bei B sind zwei Reihen von Wetzrillen zu erkennen: eine untere Gruppe, die sich heute in Kopfhöhe über 2 - 3 Quaderlagen erstreckt, und eine durch mehrere unberührte Quaderlagen abgesetzte obere.
Auch auf der Gegenseite dieses Durchgangsbereichs wiederholt sich diese Anordnung.
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edfu1b.jpgWährend die obere Gruppe von Schleifspuren aus großteils sehr kurzen und tiefen Einkerbungen bestehen, sind Einkerbungen der unteren Gruppe eher flach und im Kontur verwaschen.
Dort, wo die oberen Schleifrillen länger erscheinen, bestehen sie meist aus zwei kurzen, die miteinander verschmolzen. Es ergeben sich so pro Quaderhöhe 1 - 3 kurze Einkerbungen.
Eher selten ist, daß Wetzrillen über die Lagerfuge hinweggehen.
Materialsammlung: Karnak
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karnak1.jpgKarnak, Widder-Sphingen im ersten Hof und vor dem ersten Pylon (links).
Selbst Bauplastik blieb nicht von Schleifmulden verschont. Die meisten Sphingen lagen wohl unter Sand begraben, als man mit dem Eingraben der Wetzrillen begann. Ein Widder-Sphinx der äußeren Allee vor dem 1. Pylon weist dennoch erheblich tiefe und breite Schleifmulden auf.
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5.01.2006
Wetzrillen an altägyptischen Tempelanlagen
Materialsammlung: Assuan Philae/Agilkia
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asswanphilae2a.jpgAssuan, ehem. Insel Philae, jetzt Insel Agilkia. Vorderfront des Mammisi.
Die Reliefplatten zwischen den Hatorpfeilern sind mit zahlreichen sehr flachen und breiten Schleifmulden verunziert. Auffallen ist, daß die Schleifmulden zwar über Hieroglyphen und Ornamente hinweg gehen, jeodch meist versuchen, die Götterdarstellungen nicht zu zerstören - ganz im Gegensatz zu den Eingriffen der Kopten. Auf deren Konto geht die systematische Ausmeisselung von Gesicht, Hände und Oberkörper.
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asswanphilae1.jpgAssuan, ehem. Insel Philae, jetzt Insel Agilkia, seeseitige Fassade des unfertigen Trajan-Kiosk.
Der wohl interessanteste Schleifmulden-Befund befindet sich am sog. Trajans-Kiosk, im linken Bild an der Basis der linken Ecksäule. Der Säulenschaft und die einfach abgeschrägte Basis weist verschiedene Stadien der Bearbeitung auf:
Die Basis und die untersten drei Pfeilertrommeln sind mit einem Spitzeisen bossiert, während weiter oben einzelne Quader ecksteiartig stehen blieben (Anbindersteine?). Nach rechts - zur Fassade hin - läuft der Säulenschaft sorgfältig ausgearbeitet und geglättet bis zur Basis durch. Ab diesem Bereich setzt eine Reihe von schmalen Wetzrillen an, die sich auf den Quadern der Fassade fortsetzt.
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Die Detailaufnahme läßt gut die unterschiedlichen Be- und Abarbeitungsspuren mit dem Spitzeisen erkennen, daneben die kräftig eingearbeiteten Wetzrillen und wesentlich zaghafter mehrere kleine Kreuzdarstellungen einfachster Art. Eigenartig ist, daß um die die im Bild mittlere Quaderlage einzelne Schleifrillen abrupt an den Lagerfugen beginnen oder enden. Man könnte fast meinen, hier wären die Blöcke nach der Anastylose auf Agilkaia falsch zusammengesetzt worden. Irgendwie ist es schwer vorzustellen, zu welchen einzelnen Bauphasen die unterschiedlichen Beabreitungsstufen gehören könnten.
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asswanphilae1c.jpgDer eigenartigste Befund ist jedoch eine Reihe von schneppenartig auslaufenden napfartigen Vertiefungen an der Basisoberkante. Interessant ist dabei, daß sie sich nur auf jener Seite der Basis beschränken, wo sich darüber am Säulenschaft die Schleifrillen befinden. Auch hier ist in die bossierte Basis ein kleines Kreuz eingemeisselt. Es ist allerdings wesentlich sorgfältiger reliefiert als die kleinen Ritz-Kreuze am Säulenschaft. Stilistisch erinnert das Kreuz in seiner Reliefauffassung jedenfalls an die am Haupttempel und dessen Portalen angebrachten Kreuzmedaillons der Kopten.
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5.01.2006
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